Landtagswahlen im Osten: Zitterpartie für Bundesregierung
31. August 2024An einem warmen Abend im August versammeln sich in Thüringen einige Hundert Menschen auf einem Parkplatz. Sie wollen eine Rede von Björn Höcke hören. Der Vorsitzende des thüringischen Landesverbands der Alternative für Deutschland AfD gilt als einer der gefährlichsten Akteure in der deutschen Politik. Der Verfassungsschutz stuft seinen Landesverband als "gesichert rechtextrem" ein.
Die Veranstaltung, die unterhalb der efeubewachsenen alten Stadtmauer im Kurort Bad Langensalza stattfindet, wird als "Sommerfest" vermarktet. Es gibt Bier, Bratwurst und Luftballons; Kinder lassen sich die Gesichter bemalen. Höcke, der letzte von mehreren Rednern, federt förmlich mit weit ausgebreiteten Armen auf die Bühne. Ein Bild großen Selbstvertrauens.
AfD führt in Umfragen in Thüringen klar
Kein Wunder: Höckes Partei führt in Thüringen seit mehreren Monaten komfortabel in den Meinungsumfragen. Nun stehen die Landtagswahlen hier und im benachbarten Sachsen an, und die AfD könnte beide Abstimmungen am 1. September gewinnen. In Brandenburg wird drei Wochen später gewählt.
Am Tag zuvor hatte ein in Ostdeutschland weitaus weniger beliebter Mann Dresden besucht, die Hauptstadt Sachsens. Bundeskanzler Olaf Scholz war gekommen, um den symbolischen Spatenstich für den Baubeginn einer von der EU unterstützten taiwanesischen Halbleiterfabrik zu setzen. Sie soll 8000 neue Arbeitsplätze in der Region bringen.
Scholz kämpft um das politische Überleben der SPD
Für den Bundeskanzler ging es aber auch darum, in der Wählergunst zu punkten, um seine politische Zukunft zu retten. Seine Mitte-Links-Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), liegt in beiden Bundesländern, Sachsen und Thüringen, in den Umfragen bei etwa fünf Prozent. Ein äußerst knapper Wert. Denn bei fünf Prozent liegt die Hürde für den Einzug einer Partei in den Landtag. Falls das die SPD nicht schafft, könnte Scholz vor der Bundestagswahl im Herbst 2025 ernsthafte Probleme bekommen.
"Scholz hatte bei der Bundestagswahl 2021 vor allem in Ostdeutschland auch sehr große Erfolge - die Fallhöhe ist sehr groß. Wenn die SPD es nicht in die Parlamenten schafft, werden sicherlich innerhalb der SPD wieder Fragen nach der Führungsfähigkeit und der nächsten Kanzlerkandidatur gestellt werden", sagt Hans Vorländer, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden, im Gespräch mit der DW.
Ängste und Verbitterung nutzen dem AfD-Wahlkampf
So viele Halbleiterfabriken in Ostdeutschland auch entstehen mögen, die Region scheint oft in Verbitterung und Angst gefangen - entvölkert und immer noch von den wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung Deutschlands betroffen. Die AfD weiß dies zu nutzen. In Bad Langensalza beendet Höcke seine Rede mit einem Aufruf, ihn zu wählen, um "den Niedergang des Landes" zu verhindern. Dies, so sagt er, sei eine Wahl darüber, "ob wir eine Zukunft wollen oder nicht".
Die Zuhörer scheinen überzeugt. Selbst Wechselwähler, die an dem "Sommerfest" teilnehmen, lassen sich von den rassistischen Äußerungen, die AfD-Vertreter gelegentlich machen, nicht abschrecken - oder davon, dass die deutschen Inlandsgeheimdienste die Thüringer AfD als noch extremer als die AfD bundesweit einstufen. "Manche Sachen fand ich schon ganz gut. Wie die Senkung der Steuern. Aber das versprechen alle Parteien vor einer Wahl", sagt ein Mann der DW, der nach eigenen Angaben noch nicht entschieden hat, welcher Partei er seine Stimme gibt.
Nicht alle in Thüringen akzeptieren jedoch die AfD als legitime Option. Wo immer Höcke Wahlkampf macht, muss er auch gegen pfeifende, höhnende Demonstranten verschiedener linker antifaschistischer Gruppen anreden. Erst einen Tag vor dem "Sommerfest" in Bad Langensalza sagte die AfD eine Höcke-Veranstaltung in Jena ab, weil Gegendemonstranten die Polizeiketten durchbrachen.
Warnungen vor einem autoritären Regime kommen gut an
Höcke hat längst gelernt, diese Feindseligkeit in seinen Reden zu kanalisieren. Zwischen Behauptungen, dass Transvestiten in Grundschulen Sexualerziehung unterrichten und Migranten Verbrechen nach Deutschland bringen, spricht er davon, dass die Regierung zunehmend autoritär werde. Seine Vergleiche zur kommunistischen Diktatur der SED in der früheren Deutschen Demokratischen Republik DDR, die einst Ostdeutschland regierte, kommen bei den Unterstützern in Bad Langensalza gut an.
Mit diesem Aufwühlen realer oder eingebildeter Missstände haben alle anderen Parteien in Thüringen und Sachsen zu kämpfen, insbesondere jene, die Scholz Mitte-links-Koalition angehören. Der Ansatz der AfD scheint zu funktionieren. In Thüringen liegt die AfD laut jüngsten Umfragen bei rund 30 Prozent, weit vor der Mitte-rechts-Partei der Christdemokraten (CDU) mit 21 Prozent. Im benachbarten Sachsen schlägt sich die CDU besser und liegt mit rund 30 Prozent gleichauf mit der AfD.
Sachsen und Thüringen - verschieden regiert
Ostdeutschland wird oft als homogene Region gesehen. Tatsächlich gibt es aber große politische Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während in Thüringen seit zehn Jahren die sozialistische Linkspartei unter Ministerpräsident Bodo Ramelow regiert, wird Sachsen seit 2017 von Michael Kretschmer von der CDU geführt. Kretschmers drei Vorgänger seit 1990 kamen ebenfalls aus der CDU.
Die Zukunftsaussichten dieser beiden Politiker könnte kaum unterschiedlicher sein. Kretschmers CDU hat in machen Umfragen gerade wieder eine knappe Führung vor der AfD übernommen, während Ramelows Amtszeit so gut wie beendet scheint. Die Werte der Linkspartei haben sich seit der letzten Wahl 2019 halbiert und dümpeln nun bei fünfzehn Prozent vor sich hin. Ihre linken Koalitionspartner in der Regierung des Bundeslandes, die SPD und die Grünen, könnten nächste Woche den Einzug in das Landesparlament verpassen.
Das könnte bedeuten, dass in beiden Bundesländern eine Allianz zwischen der CDU und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als einzig mögliche Option verbleibt. Eben unter der Voraussetzung, dass niemand mit der AfD koaliert, wie es die anderen Parteien immer wieder betont hatten. Eine Partnerschaft zwischen der CDU und dem BSW mutet bizarr an: Die CDU ist eine Partei der politischen Mitte, die sich gerne als Fels der Stabilität, traditionsbewusst und konservativ präsentiert. Das BSW ist dagegen eine erst vor weniger als einem Jahr gegründete aufstrebende Partei, die von einer ehemaligen Kommunistin mit einem Gespür für populistische Rhetorik geführt wird.
Aufstieg des Bündnis Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht, die letztes Jahr die von ihr einst geführte Fraktion der Linkspartei im Bundestag gespalten hat, ist in Ostdeutschland enorm populär geworden, obwohl sie bei den kommenden Wahlen nicht tatsächlich auf dem Stimmzettel steht. "Sahra Wagenknecht ist Kult in Ostdeutschland. Sie führt die Partei quasi autokratisch, und ist eine Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Autoritäten und nach Führung, gerade in Ostdeutschland", erklärt der Politikwissenschaftler Hans Vorländer.
Ein Bündnis mit dem BSW, das in Thüringen bei knapp 20 Prozent und in Sachsen bei 12 bis 15 Prozent liegt, dürfte für manche in der CDU schwer zu verdauen sein. Abgesehen davon, dass Wagenknecht einst SED-Mitglied in der DDR war, stellt sie schon jetzt Forderungen, die für die CDU schwer zu akzeptieren sein dürften. So spricht sie sich beispielsweise gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland aus.
Das kommt in Ostdeutschland laut Vorländer gut an. "Viele Menschen empfinden - noch aus DDR-Zeiten übernommen - eine große Skepsis und Ablehnung gegenüber der NATO. Zum Teil gibt es antiamerikanische Stimmungen. Und es gibt auch Abwehrreflexe gegen das, was aus 'dem Westen' kommt."
Im Einklang mit dieser Gefühlslage haben sowohl das BSW als auch die AfD erfolgreich Ängste unter vielen Ostdeutschen in Bezug auf den Ukraine-Krieg angesprochen, eines der Themen, die diese Landtagswahlen dominieren.
Innere Sicherheit und illegale Einwanderung als Themen
Die anderen Themen sind innere Sicherheit und illegale Einwanderung. Der Messerangriff in Solingen, für den ein syrischer Flüchtling in Untersuchungshaft sitzt, hat eine landesweite Debatte über Einwanderung und Abschiebung abgelehnter Asylbewerber ausgelöst. Themen, die insbesondere bei Anhängern der einwanderungsfeindlichen Parteien BSW und AfD Anklang finden.
Obwohl sich das BSW konsequent von der AfD distanziert und jede Zusammenarbeit ausgeschlossen hat, haben beide Parteien möglicherweise mehr gemeinsam als sie trennt. All dies setzt die SPD von Bundeskanzler Scholz schwer unter Druck, zumal drei Wochen später in einem weiteren ostdeutschen Bundesland gewählt wird - in Brandenburg. Auch hier führt die AfD in den Umfragen, während die SPD und die CDU um den zweiten Platz kämpfen.
In gewisser Weise haben die Koalitionspartner von Scholz bei diesen drei Wahlen am meisten zu befürchten. Die Grünen, die derzeit in allen drei Bundesländern in der Regierung sind, werden diese Einflussmöglichkeit wahrscheinlich verlieren, während die liberale Freie Demokratische Partei (FDP) im Osten voraussichtlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird - wahrscheinlich als Quittung dafür, dass sie Teil der im Osten unbeliebten Ampelkoalition unter Scholz ist. Das verheißt nichts Gutes für das ohnehin schon zerrüttete Parteienbündnis des Bundeskanzlers - und für ihn selbst.
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.