Landwirtschaft: Anpassung an Klimawandel
15. September 2023Wenn man sich in Deutschland irgendeinen Ort aussuchen könnte, um Landwirtschaft zu betreiben, steht man Brandenburg wohl vor den größten Herausforderungen. Die Böden sind nährstoffarm und sandig. Und Trockenheit macht der Branche dort schwer zu schaffen.
Benedikt Bösel hat es trotzdem gewagt. 2016 hängte er seine Karriere in der Finanzbranche als Investmentbanker an den Nagel und übernahm in Ostbrandenburg ein großes Gut, das seine Eltern nach der Wende wieder aufgebaut hatten.
3000 Hektar Land, davon 2000 Hektar Wald und 1000 Hektar Ackerbau. Schon sein Vater hatte das Gut auf Biolandwirtschaft umgestellt. Benedikt Bösel aber beschloss, neue Wege zu gehen. Die Zukunft sieht er vor allem darin, innovative Technologien einzusetzen und die Landwirtschaft zu digitalisieren.
"Ich habe in der Finanzwirtschaft zum Ende insbesondere mit Startups im Agrarbereich gearbeitet und hatte dadurch einen sehr guten Einblick in solche Technologien", erzählt er.
Zwei Dürresommer gleich zu Anfang seiner Zeit als Bauer belehrten ihn allerdings eines Besseren. "Mir wurde immer klarer, dass Technologien ganz häufig benutzt werden, um Symptome eines kranken Systems zu bewältigen", erinnert er sich.
Der Boden ist die Basis
Mittlerweile ist er überzeugt, dass sich die Herausforderungen durch den Klimawandels, insbesondere die Unvorhersehbarkeit des Wetters, nicht allein mit technischen Lösungen bewältigen lassen. Wichtig sei erst einmal, intakte Ökosysteme wieder herzustellen. Inzwischen steht daher die Gesundheit des Bodens und der Erhalt der Biodiversität im Zentrum von Bösels Tagwerk.
Inspirationen, wie ein gesundes System geschaffen werden kann, hat er beim Schweizer Ernst Götsch gefunden, der mit Agroforstwirtschaft in Brasilien eine als unbrauchbar deklarierte Fläche wieder fruchtbar gemacht hat.
Bäume als Barriere gegen Bodenerosion
Wer heute auf das Gut von Benedikt Bösel kommt, findet Ackerflächen, die alle paar Meter von schmalen Streifen durchbrochen sind. Auf ihnen wachsen Bäume und Sträucher.
Sie bilden eine Barriere gegen den Wind und verringern so Bodenerosion. Sie sorgen außerdem für ein feuchteres Mikroklima, bieten Lebensfläche für Insekten und Vögel, speichern CO2 im Boden, tragen zum Humusaufbau im Boden bei und liefern noch Nüsse, Beeren oder Obst, das geerntet werden kann.
Mehr als 150 Kühe grasen bei Bösel das ganze Jahr draußen. Nicht auf Weiden, sondern auf Äckern. Hier wächst mehrjähriges Ackerfutter, wie Gräser, Leguminosen oder verschiedene Kräuter.
Die Tiere weiden auf kleinen Parzellen. Zwei- bis viermal am Tag werden sie mit mobilen Weidezäunen umgestellt. So stehen die Kühe immer eng zusammen, fressen, trampeln zusätzlich einen Teil der Gräser um, hinterlassen ihren Dung und wandern recht schnell auf die nächste Parzelle. Dadurch lässt sich natürliches Weideverhalten imitieren.
"Durch diesen Biss-Schock der Tiere reagieren die Pflanzen mit Wurzelwachstum", sagt Bösel. Gleichzeitig würden die niedergetrampelten Pflanzen den Boden vor der Sonne schützen und Nahrung für Bodenorganismen bieten, ergänzt der 39-Jährige, der im vorigen Jahr zum "Landwirt des Jahres" gekürt wurde.
"Diese Beweidungsform ist eine der wenigen Methoden, mit denen sehr effektiv, schnell und auch langfristig Kohlenstoff im Boden gespeichert werden kann."
Erste Erfolge stellen sich ein
Das sind nur einige Ansätze der regenerativen Landwirtschaft. Und sie zeigen schon nach kurzer Zeit erste Erfolge.
So hätten die aus Samen gezogenen Bäume und Sträucher trotz des heißen Sommers im vergangenen Jahr keine Probleme gehabt, freut sich Bösel. Auch die Beweidung habe dazu geführt, dass sich die Qualität und die Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens verbessert hätten.
"Allerdings ist es nicht immer möglich, den Boden ständig zu bedecken", erklärt Bösel. "Insbesondere wenn einjähriges Getreide gepflanzt wird, müssen diese Flächen immer wieder neu bestellt werden".
Wenn dann zur falschen Zeit eine ungünstige Wetterkonstellation herrsche, zum Beispiel Dürre oder sehr große Hitze, werde man auch einfach wieder zurückgeworfen.
Kann regenerative Landwirtschaft alle ernähren?
So schön sich das alles anhört, bleibt doch die Frage: Ist es möglich, die mehr als acht Milliarden Menschen ohne industrielle landwirtschaftliche Produktion zu ernähren?
Es gibt Argumente, die dafür sprechen. Schließlich stammt ein Drittel der weltweit erzeugten Lebensmittel von Farmen, die weniger als zwei Hektar groß sind, so die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) - also aus nicht-industrieller Produktion.
Zudem müsse die Nachfrage nicht so hoch sein, wie sie ist. Immerhin haben zwei Milliarden Menschen so viel zu essen, dass sie davon sogar krank werden und bis zu 40 Prozent aller globalen Lebensmitteln gehen verloren, weil sie weggeschmissen oder verschwendet werden.
Das ergab eine Studie von McKinsey. Zudem wird rund 40 Prozent des Ackerlandes für den Anbau von Tierfutter verwendet, heißt es von der Heinrich Böll Stiftung. Es gäbe also einige Hebel, den über 735 Millionen unter Hunger leidenden Menschen zu helfen, ohne mehr zu produzieren.
Daher ist Benedikt Bösel überzeugt: "Man kann mit einer intelligenten, regenerativen und ökologischen Landnutzung mindestens so viele Lebensmittel produzieren wie mit einer industriellen Landwirtschaft".
Klasse statt Masse
Dabei muss es nicht teurer werden. Bei industriellen Produktion entstehen viele sogenannten externe Kosten, beispielsweise in Form von ausgelaugten Böden, schwindender Biodiversität oder einer schlechteren Wasserqualität, die sich nicht in den Preisen der Produkte spiegeln.
Diese Kosten tragen im Endeffekt alle Menschen, da sie mit den Folgen leben müssen. Würde man diese Kosten einpreisen, würden sich die Preise laut Studien nicht mehr so deutlich von ökologisch, regenerativ produzierten Gütern unterscheiden.
Wie hoch diese externen Kosten in Deutschland sind, hat die Boston Consulting Group untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass in der deutschen Landwirtschaft jedes Jahr Kosten in Höhe von rund 90 Milliarden Euro entstehen - unter anderem durch Treibhausgasemissionen und den Verlust von Ökosystemleistungen.
Diese externen Kosten steht eine Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft von rund 21 Milliarden Euro gegenüber. Mit nachhaltigen landwirtschaftlichen Methoden und moderner Technologie ließen sich diese Kosten um ein Drittel reduzieren, so die Studie.
Kooperation mit Wissenschaftlern
Dennoch bleibt eine Umstellung schwierig, weil regenerative Landwirtschaft nicht überall gleich ist. Jeder Landwirt und jede Landwirtin müsse vielmehr die eigene Situation und den eigenen Standort genau analysieren, so Bösel.
Er selbst hat sich bei der Umstellung in den vergangenen Jahren Hilfe aus der Wissenschaft geholt. Mittlerweile arbeitet er mit mehreren Forschungseinrichtungen wie dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), dem Julius Kühn-Institut (JKI), dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL), der Humboldt Universität Berlin (HU Berlin) und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) zusammen.
Auch eine Stiftung wurde von ihm gegründet, die Daten zu den in Brandenburg angewandten Methoden erheben und analysieren soll, um dieses Wissen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
"Die unterschiedlichen Methoden, die wir hier an unserem Extremstandort erforschen, werden früher oder später wahrscheinlich nicht nur uns betreffen, sondern auch viele andere Landwirtinnen und Landwirte", glaubt Bösel.
Und er ist überzeugt, "die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Ökosysteme hängen am Ende immer an der Frage der Landnutzung, und die ist der Schlüssel für die großen Probleme unserer Zeit."