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Larven helfen bei chronischen Wunden

Gudrun Heise
13. Februar 2023

Larven, die totes menschliches Gewebe fressen? Igitt! Was eklig klingt, hilft allerdings Menschen, deren Wunden nur schwer heilen. Gegenüber Antibiotika haben Larven außerdem einen entscheidenden Vorteil.

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Pflasterähnliche Vierecke werden auf eine offene Wunde aufgebracht
Bei der Larventherapie werden sogenannte Biobags auf die Wunde aufgelegtBild: Norbert Försterling/dpa/picture alliance

Die Larven- oder Madentherapie ist auch unter der Bezeichnung Biochirurgie bekannt. Das klingt nicht ganz so schrecklich. Aber auch das Prozedere selbst sei nicht ganz so schlimm, wie viele glauben mögen, sagt Professor Uwe Wollina vom Städtischen Klinikum Dresden. 

"Es gibt die sogenannten Biobags. Sie sehen aus wie Teebeutel. Darin befinden sich die Larven. Diese Biobags werden auf die Wunde aufgelegt. Meist sind es die Larven der Grünfliege. Sie lässt sich leicht züchten, und sie gehört zu den Nekrophagen. Sie ernähren sich nur von totem Gewebe und schonen das gesunde." Für medizinische Zwecke werden sie unter sterilen Bedingungen im Labor gezüchtet. 

Diabetiker profitieren von der Larventherapie

Vor allem bei Diabetikern wird die Methode erfolgreich eingesetzt. Denn bei ihnen kommt es oft zu Wundheilungsstörungen. "Die Therapie eignet sich für chronische Wunden, für Bein- und Fußgeschwüre bei Diabetikern und auch für Patienten mit Krampfadern. Auch hier kann es zu Geschwüren kommen", erläutert Wollina. 

Wenn die entsprechenden Bereiche gar nicht abheilen, besteht sogar die Gefahr, dass Gliedmaßen amputiert werden müssen. Auch Nekrosen kann die Medizin mithilfe der Biochirurgie recht gut in den Griff bekommen. Denn auch dann stirbt Gewebe ab. Die Patientin oder der Patient können eine Sepsis entwickeln, die lebensbedrohlich werden kann. Die Larventherapie hilft, das zu verhindern. 

Die Zucht der Larven muss steril ablaufen

Die Medizin macht sich die natürliche Fähigkeit der Fliegenlarve zunutze, abgestorbenes Gewebe abzubauen. Dazu geben die Tiere ihren Verdauungssaft in die Wunde ab. Dort wird das tote Gewebe zunächst verflüssigt. Dafür sorgen spezielle Verdauungsenzyme. Anschließend nehmen die Larven die Flüssigkeit als Nahrung zu sich.

"Sie wachsen in dieser Zeit von etwa zwei Millimetern Länge auf bis zu einen Zentimeter an und verhundertfachen ihr Gewicht", erklärt Wollina. Zwischen drei und fünf Tagen bleiben die Biobags auf der Wunde. Dann werden sie ausgetauscht. Etwa 80 bis 90 Prozent abgestorbenes Gewebes und Bakterien könnten mit dieser Methode entfernt werden, so der Dermatologe weiter. 

Arzt entfernt Biobags von einer schlecht heilenden Wunde
Nach etwa drei Tagen werden die Biobags mit den Maden entfernt und neue aufgelegtBild: Norbert Försterling/picture alliance

Larven als Alternative zu Antibiotika

Die Larven entfernen nicht nur abgestorbenes Gewebe: Sie desinfizieren die Wunden auch, produzieren antibakterielle Stoffe und scheiden Ammoniak aus, sodass der pH-Wert angehoben wird. Die Wirkung ist ähnlich wie die eines Antibiotikums. Um der Entstehung der gefürchteten, multiresistenten Keime, wie etwa MRSA entgegenzuwirken, ist die Larventherapie deshalb eine mögliche Alternative.

"Außerdem sind die Larven in der Lage, die Gefäßdurchblutung und die Mikrozirkulation zu verbessern", sagt Wollina. "Das gilt vor allem für die Kapillaren, feinste Verzweigungen der Blut- und Lymphgefäße."

Larventherapie ist altbewährt

Neu ist die Larventherapie nicht. Bereits vom 14. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts haben verschiedene Chirurgen bei Soldaten Experimente mit Larven zur Wundversorgung durchgeführt. Im Ersten Weltkrieg stellte ein amerikanischer Chirurg fest, dass die Wunden der Soldaten mit dem Einsatz von Larven wesentlich schneller und besser abheilten. Mit der Entdeckung des Penicillins 1928 war der Einsatz von Larven zur Wundbehandlung zunächst nicht mehr gefragt. 

Sir Alexander Fleming
Nach der Entdeckung des Penicillins war die Madentherapie kaum noch gefragtBild: Imago/United Archives International

Mittlerweile aber gewinnt diese Therapie wieder zunehmend an Bedeutung. "In den 80er Jahren begannen die Probleme mit Antibiotika-Resistenzen, und da hat man sich auf die Larventherapie besonnen und sie reaktiviert", sagt Wollina.

In etlichen Ländern wird die Larventherapie jetzt wieder praktiziert. Dazu gehören neben Deutschland beispielsweise die USA, Schweden und die Schweiz, aber auch Thailand. Für ärmere Länder wie etwa in Afrika besteht das Hauptproblem darin, dass Larven-Produktionsstätten direkt vor Ort geschaffen werden müssten. Das aber sei sehr teuer, so Wollina.   

Eine Hauttransplantation ist der letzte Schritt

Haben die Larven die Wunde gesäubert und von krankem Gewebe befreit, besteht in diesem Bereich meist ein Defekt. Um dessen Heilung zu beschleunigen, können ein Arzt oder eine Ärztin ein Hauttransplantat auf das entsprechende Gebiet aufbringen. Das Transplantat hat eine Stärke von etwa 0,2 bis 0,3 Millimetern und wird meist aus dem Oberschenkel entnommen. 

Ein solcher Eingriff ist problemlos und kann unter örtlicher Betäubung vorgenommen werden. Da nur ein Stück aus der oberen Hautschicht entnommen wird, heilt diese Wunde wie eine einfache Schürfwunde schnell ab und auch die Stelle, auf die das Transplantat aufgebracht wird, erholt sich meist innerhalb von zwei Wochen.

Ohne die Larventherapie kann der Heilungsprozess wesentlich länger dauern. Für Menschen mit chronischen Wunden könnte das vielleicht ein Grund sein, ihren Ekel zu überwinden.