Merkels Erben starteten gemeinsam
13. Januar 2021Politik - das sind Biographien. Politische Karrieren haben ihre Höhepunkte und ihre Abstürze. Seit mehr als zehn Monaten streben drei Politiker danach, zum Vorsitzenden der wichtigsten Regierungspartei CDU gewählt zu werden. Armin Laschet (59), Friedrich Merz (65),Norbert Röttgen (55) - drei Männer, drei Juristen, drei Katholiken, drei Nordrhein-Westfalen.
Bei der Bundestagswahl im Oktober 1994 zogen die drei in den Bundestag ein. Gleichzeitig, nicht gemeinsam. Röttgen war 29 Jahre alt, Laschet 33, Merz knapp 39. Alle drei haben in Bonn studiert, aber jeder zu einer anderen Zeit. Der Westfale Merz gehörte von 1989 bis 1994 dem Europäischen Parlament an und brachte erste Erfahrungen als Abgeordneter mit.
Starker Jahrgang
Sie waren drei der insgesamt 64 neuen Abgeordneten der Union. Da kam ein ungewöhnlich starker Jahrgang - nicht wenige von ihnen wurden Bundesminister, Staatssekretäre, CDU-Generalsekretär oder Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion: Zwei sind auch heute Bundesminister, Peter Altmaier (Wirtschaft) und Gerd Müller (Entwicklung). Vier andere gehörten zwischenzeitlich dem Kabinett von Angela Merkel an.
Wer Mitte der 1990er Jahre in Bonn als Abgeordneter antrat, musste sich an die Rituale des parlamentarischen Lebens gewöhnen. Weit mehr Abgeordnete als in heutiger Zeit reisten nur zu Sitzungstagen des Parlaments aus ihren Wahlkreisen an. Das Viertel um Bundestag und Bundesrat wirkte wie ein eigenes Dorf in der Stadt.
Knapp einen Monat nach der Bundestagswahl, am 15. November 1994, gehörten die drei zur knappen Mehrheit der Koalition aus Union und FDP, die Helmut Kohl in seine fünfte Kanzlerschaft wählte. Eine jener vielen Abstimmungen, bei denen der Abgeordnete "Friedrich Merz" auf Unionslisten gleich hinter "Angela Merkel" auftauchte.
Auffallende Hinterbänkler
Laschet, Merz und Röttgen begannen als Hinterbänkler. Das änderte sich bald. Bundestagsveteranen erinnern sich: Schon die ersten Reden der drei fielen auf. Sie lasen nicht einfach vom Papier ab, sie waren sicher im Stoff, sie ließen von Beginn an spontane Zwischenfragen zu. Merz hatte, parlamentserfahren wie er war, Anfang 1995 bereits zwei Mal in Fragestunden des Bundestages die Chance genutzt, ans Mikrofon zu kommen.
Als er dann am 16. Februar 1995 in einer europapolitischen Debatte erstmals eine Rede hielt, warf er zum Auftakt den Sozialdemokraten kräftig polternd vor, den "großen Konsens der großen Parteien" in Deutschland zu verlassen, und warb für eine "gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der Europäischen Union.
Röttgen "sehr lebhaft"
Einen Tag später hielt der fast zehn Jahre jüngere Röttgen seine erste Rede. Am Ende der Ausführungen gratulierte Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) "herzlich" zur ersten Rede im Bundestag, die ja eine "sehr lebhafte" gewesen sei. Und in der Unionsfraktion ahnten alle: Von jetzt an würde ein begnadeter Redner neu mitmischen. Viele Jahre später, als er bei Debatten für die Kanzlerin in die Bresche sprang, nannten sie ihn "Muttis Liebling". Bis 2012. Da fiel Röttgen im Streit um eine verlorene NRW-Landtagswahl bei Merkel in Ungnade.
Merz kam als Redner im ersten Halbjahr bereits vier, Röttgen drei Mal zum Einsatz. Das ist damals wie heute ungewöhnlich für Neulinge. Aber sie widmeten sich mit Europa und Wirtschaft (Merz) und Rechts- und Innenpolitik (Röttgen) politischen Kernthemen.
Laschet, kirchlich geprägt, hatte sich zunächst der im Parlament selten debattierten Entwicklungspolitik gewidmet. Erst im September 1995 hielt er seine Jungfernrede. Und doch taucht er als erster der drei im offiziellen Bundestags-Protokoll auf, schon Mitte Dezember 1994. Da sprach in einer familienpolitischen Debatte die SPD-Politikerin Edith Niehuis und forderte ein "Zukunftsministerium" für das Thema Familie. Im Protokoll steht: "Beifall bei der SPD sowie des Abg. Armin Laschet [CDU/ CSU]". Ungewöhnlich. Junge Abgeordnete müssen erst lernen, beim politischen Gegner auch im Falle sachlicher Übereinstimmung nicht mitzuklatschen.
Klüngelrunden junger Polit-Rebellen
Hinter den Kulissen des Parlaments bewegten sich die jüngeren Laschet und Röttgen auf der einen und der etwas ältere Merz in unterschiedliche Richtungen. Keiner der drei hatte Chancen, in den von Stagnation geprägten letzten Jahren von Kanzler Kohl in der Fraktion Karriere zu machen. Doch die beiden Rheinländer starteten mit Gleichgesinnten rasch Anläufe für einen moderneren Kurs der Union.
Hier eine Klüngelrunde, die eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts mit der Möglichkeit zur Einwanderung anstrebte und damit konservative Ältere in der Fraktion ärgerte. Dort ein beginnender, mehrjähriger Polit-Flirt jüngerer CDU-Abgeordneter mit Spitzenleuten der Grünen, der unter dem Begriff "Pizza-Connection" bekannt wurde. Jeweils mit dabei: Röttgen und Laschet.
Wichtige Unterstüttzung fanden beide bei dem 1990 in den Bundestag gewählten CDU-Mann Peter Hintze. Dieser Meister der Vernetzung integrierte die beiden in die sogenannte "Junge Gruppe" der Fraktion. Kanzler-treu war sie und zugleich etwas aufrührerisch; gelegentlich saß sie abends mit Helmut Kohl beim Abendessen und zu langer Diskussion; manchmal ging sie auf Auslandsreisen - inklusive Audienz bei US-Präsident Bill Clinton im Weißen Haus oder Besuch im Kreml. Peter Hintze prägte für diese Wegbereiter und -begleiter von Merkel den Begriff "Prätorianergarde".
Friedrich Merz gehörte nie zur Gefolgschaft von Hintze. An diesem Samstag stehen sich Merz, Röttgen und Laschet gegenüber als Konkurrenten bei der Wahl zum CDU-Vorsitz gegenüber.