Lateinamerikanische Lektionen für Athen
15. April 2015"Lateinamerika ist nolens volens in diese Rolle geschlüpft", meint Ökonom Rolf J. Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Ende der 1980er Jahre habe man erkannt, dass die Schuldenkrise mit frischem Geld allein nicht bewältigt werden könne. "Die Probleme lagen tiefer, der Schuldendienst war sehr hoch. In der gleichen Situation sind wir heute im europäischen Raum", erklärt er im DW-Gespräch.
Rolf Langhammer, der internationale Organisationen wie Weltbank, EU und auch deutsche Ministerien beraten hat, erinnert sich noch gut an die lateinamerikanische Schuldenkrise in den 1980er Jahren. Zwischen Mexiko und Chile galt der Internationale Weltwährungsfonds (IWF) damals als Inbegriff für die rücksichtslose Umsetzung von Sparprogrammen, die zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten führten. "Man hat früher ja sogar gesagt, der IWF isst Babies", beschreibt er das Feindbild.
Lateinamerika gehörte lange zu den besten Kunden des IWF. Doch als Mexiko am 13. August 1982 als erstes Land in der Region seine Zahlungsunfähigkeit erklärte, änderte sich dies. Die Zinsen für Kredite explodierten, die Länder Lateinamerikas waren praktisch vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten. Argentinien meldete 2001 Staatsbankrott an, Brasilien brauchte ein Jahr später einen Rettungskredit vom IWF. Ecuador schuldete 2008 um.
Leben auf Pump
Mittlerweile hat sich die Lage komplett verändert. Nicht mehr die Länder Lateinamerikas gehören zu den größten Schuldnern weltweit, sondern die Industriestaaten. Nach Angaben der Deutsche Bank Research hat sich die Staatsverschuldung der zehn größten Schwellenländer zwischen 2000 und 2012 von 50 Prozent auf 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verringert, während die Quote in den G-7-Staaten im gleichen Zeitraum von 80 Prozent auf 110 Prozent gestiegen ist.
Für Rolf Langhammer ergeben sich aus der Schuldenkrise Lateinamerikas zwei Lehren: Erstens müssten alle Programme vor ihrer Umsetzung auf ihre sozialen Auswirkungen geprüft werden. Und zweitens bräuchten alle Reformen, die auf die Veränderungen von Strukturen, Institutionen oder gesetzlichen Grundlagen abzielten, mehr Zeit.
Quito bietet Athen Hilfe an
"Man hat damals die Verteilungsprobleme der kurzfristigen Stabilisierungsprogramme von IWF und Weltbank unterschätzt", räumt Langhammer ein. Doch mittlerweile habe der IWF "sehr vernünftige Lehren" aus seinen Fehlern gezogen. Erstens habe er den Zeithorizont für Strukturanpassungen erheblich erweitert. Außerdem gebe es heute bei jedem IWF-Programm die Frage, ob es die Armut verschärfe oder nicht. "Das war früher nicht der Fall", so Langhammer.
Ecuadors Präsident Rafael Correa traut der Reformfähigkeit des IWF nicht. Er bot der neuen griechischen Regierung kurz nach ihrem Wahlsieg deshalb Unterstützung bei den Verhandlungen mit den Gläubigern an. Denn Ecuador habe durch eine erfolgreiche Umschuldung den Druck des Schuldendienstes auf den Staatshaushalt und die öffentlichen Finanzen verringern können.
"Die europäischen Banken haben bei der Kreditvergabe an Griechenland so getan, als hätten sie nicht gewusst, dass das griechische Haushaltsdefizit fast dreimal so groß war wie von der Regierung gemeldet", schrieb er schon vor zwei Jahren am 13. Dezember 2013 in einem Gastbeitrag für "Le Monde Diplomatique". "Wieder einmal wird das Problem der Überschuldung angeprangert, ohne das Gegenstück dazu - das Überangebot von Krediten - auch nur zu erwähnen: von der Verantwortung des Finanzkapitals keine Spur".
Ökonom Langhammer gibt sich weniger kämpferisch. Im Gegenteil. Er verbindet mit der griechischen Schuldenkrise die Hoffnung auf den Durchbruch für ein bislang noch nicht vorhandenes Insolvenzrecht für Staaten. "Griechenland ist ein Fall sui generis. Solange wir nicht zu einem offiziellen staatlichen Insolvenzrecht kommen, müssen wir es schaffen, Elemente einer langfristigen Schuldentragfähigkeit zu definieren", erklärt er. "Wir müssen Griechenland unterstützen, auch durch eigene Reformen in den Ländern der Gläubiger".