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Leben am Heroin-Highway

Philip Banse / sams2. Januar 2005

Durch die südlichen Nachfolgestaaten der Sowjetunion fließt ein steter Strom von Heroin nach Europa. Inzwischen haben die Länder wie Aserbaidschan selbst ein massives Drogenproblem.

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Aserbaidschanische Grenzsoldaten patroullierenBild: dap

In der islamischen Republik Aserbaidschan lässt sich beobachten, was vielen Nachfolgestaaten der Sowjetunion riesige Probleme bereitet: Wie die Seitenarme eines Flussdeltas durchziehen die Schmuggelrouten für afghanische Drogen Kasachstan, Usbekistan, Russland und den Kaukasus. Diese Transitstaaten werden dabei vom Heroin eingenebelt wie vom Staub der vorbeirumpelnden Lastwagen. Die Korruption fördert den Drogenhandel, und der Drogenhandel fördert die Korruption.

Schlafmohnanbau in Afghanistan
Schlafmohnanbau in AfghanistanBild: AP

Der fatale Kreislauf zerfrisst das Fundament junger Demokratien in der GUS. Und während der Heroinkonsum im Westen zurückgeht, haben mangelnde Perspektiven, Ahnungslosigkeit und ein reichhaltiges Drogenangebot zu moderaten Preisen große Teile der Jugend im ehemaligen Ostblock in einen Drogenrausch versetzt. Schon jetzt leben in der GUS mehr Junkies als in Europa. Und das Potenzial für weiteres Wachstum ist riesig.

Wie ein breiter Fluss

Der Grenzübergang Astara liegt an der A 322. Diese löchrige Piste von Teheran in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku ist eine Seitenstraße der so genannten "Balkanroute". Auf dieser Handelsroute werden jedes Jahr tonnenweise Heroin und Opium aus Afghanistan über den Iran und die Türkei nach Europa geschmuggelt.

Das Bundeskriminalamt schätzt, dass rund 80 Prozent der Opiate, die in Europa beschlagnahmt werden, über diese Route transportiert werden. Der Drogenstrom ist wie ein breiter Fluss: Wenn Hindernisse auftauchen, suchen sich die Drogenhändler einen neuen, leichteren Weg. Einer davon führt die LKW durch den Kaukasus: Von Teheran westlich des Kaspischen Meer gen Norden nach Aserbaidschan, immer entlang der A322, dem "Heroin Highway".

Die Drogen-Schmuggler profitieren von internationalen Zollabkommen. Mit dieser Vereinbarung soll verhindert werden, dass Container an jeder Grenze geöffnet werden. Einmal verplombt dürfen die Frachtkisten erst wieder am Zielort geöffnet werden - es sei denn die Zöllner sind sicher, dass geschmuggelt wird. Acht Millionen Euro steckt die EU bisher in Aserbaidschans Drogenkampf. Damit soll unter anderem moderne Zolltechnik bezahlt werden.

Deals wie Lottogewinne

Die Gewinnspannen der Schmuggler sind riesig: 35 000 Dollar kostet hier ein Kilo bestes Heroin aus Afghanistan. In Russland bringt es das Doppelte. Wenn so ein Deal gelingt, darf sich ein aserbaidschanischer Dorfschullehrer mit seinem Monatslohn von 20 Euro wie ein Lottogewinner fühlen. Doch Schmuggler leben gefährlich. Über 100 werden jedes Jahr von Grenzern erschossen.

Heroin: Schmuggelware durch die Länder der ehemaligen Sowjetunion
Heroin: Schmuggelware durch die Länder der ehemaligen SowjetunionBild: AP

Doch die "großen Fische" werden nicht verhaftet, sagt ein Polizist, der lieber anonym bleiben möchte. Umfangreiche Drogengeschäfte könne niemand machen, ohne Rückendeckung hoher Regierungsbeamter in Baku. Transparency International zählt Aserbaidschan zu den sieben korruptesten Ländern der Erde. Ein ehemaliger Polizist in Baku war in der Grenzregion zum Iran jahrelang leitender Polizeioffizier. Er sagt, dass der Drogenhandel in Aserbaidschan von denen organisiert wird, die ihn eigentlich bekämpfen sollen - gedeckt von den höchsten Beamten im Innenministerium.

Kolumbien liegt in Aserbaidschan

Wenn die Drogen-Laster auf der A 322 entlang des Kaspischen Meeres nach Norden rumpeln, fahren sie durch eine Region, die ihre Bewohner nur noch "Kolumbien" nennen. Denn im südlichen Aserbaidschan sind Opium und Heroin so allgegenwärtig wie andernorts Bier und Zigaretten. Esmira Turide leitet die SRCHO, einer Nicht-Regierungsorganisation, die gegen die Drogenepidemie kämpft. Die 56jährige sagt, in einigen Dörfern der Gegend würde es sogar schon nach Heroin riechen. "Rund 60 Prozent der Jugendlichen nehmen hier Drogen."

Wie viele Drogenabhängige es in Aserbaidschan gibt, was sie denken und wissen, war lange unklar. Deshalb hat Masir Efendiew, der Koordinator des Anti-Drogenprogramms Südkaukasus, schätzt, dass in Aserbaidschan 200.000 Menschen Drogen nehmen. Rund 2,5 Prozent der Bevölkerung. Und es werden mehr: Als sich der eiserne Vorhang hob, ergoss sich eine Drogenwelle über Gesellschaften, die nichts wussten von Heroin und Opium. Jugendliche inhalierten bald alles, was nach Westen roch. Der Stoff drang ein in die rissigen Leben. Weil die Medien das Thema bis heute totschweigen und auch der Staat nicht informiert, haben viele Jugendliche immer noch keine Ahnung, was sie sich in ihre Adern spritzen.