An der Roten Zone in Italien
24. Februar 2020"Wir geben uns nicht die Hand und auch kein Küsschen mehr auf die Wange", erzählt Marco. "Das ist für Italiener schon ziemlich unhöflich", scherzt er. Sein Lachen klingt etwas gedämpft durch die Atemmaske, die er seit Sonntag, seit der Notstand ausgerufen wurde, trägt. "Zehn Euro wollten sie dafür in der Apotheke haben. Das ist unverschämt", klagt der junge Mann aus Vittadone, einem kleinen Nest in der norditalienischen Po-Ebene. Aber Schutzmasken und Handreinigungsmittel sind überall in der Umgebung fast ausverkauft. Da steigen auch die Preise. Nur wenige Dorfbewohner tragen eine Maske. Das finden viele übertrieben. Schließlich leben sie ja noch nicht in der "Roten Zone", die direkt hinter dem Dorf beginnt. In der "Roten Zone", die von der Provinz Lombardei ausgerufen wurde, liegen zehn Siedlungen, die mehr oder weniger unter Quarantäne liegen.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Die "Rote Zone" soll eigentlich niemand betreten oder verlassen. Darüber wachen zwei Carabinieri von der uniformierten Kriminalpolizei in ihrem polierten schwarzen Alfa Romeo an der Dorfstraße. Doch Bauern mit ihren Traktoren, Fahrradfahrer und Menschen, die zum Supermarkt oder in die Apotheke ins nächste Dorf wollen, werden durchgelassen und dürfen auch wieder zurück. "Man braucht eine gute Erklärung und dann geht das schon. Man kann die Leute doch nicht völlig einsperren", sagt Enzo, der auch in Vittadone lebt und schon "drüben" in der Roten Zone zum Einkaufen war. Die Maßnahmen der Provinzbehörden und der italienischen Regierung hält er für etwas zu drastisch. "Warum soll man denn die Grenzen sperren nach Frankreich oder Österreich. Das Corona-Virus ist doch schon hier", meint er.
Warum der Dom und die Oper in Mailand geschlossen werden mussten, sieht Enzo auch nicht ein. Schließlich sei die Mehrzahl der mehr als 200 registrierten Infektionen doch hier in der ländlichen Lombardei und im benachbarten Venetien aufgetreten. Ministerpräsident Guiseppe Conte, der von dem schnellen Anstieg der Infektionsraten in Italien überrascht ist, will besonders vorsichtig sein, aber keine Panik verbreiten, wie er mehrfach bei öffentlichen Auftritten betonte. "Na, ja aber den Karneval abzusagen und Fußball in Italien, das ist wirklich schon ganz schön schlimm", ereifert sich Enzo auf der Dorfstrafe in den warmen Sonnenstrahlen, die den Frühling ankündigen.
Kein Gottesdienst
Die Schule von Vittadone hat geschlossen. Die Geschäfte und auch die einzige Bar von Renzo ebenfalls, wo man sonst einen Kaffee am Mittag genießen konnte. Die Menschen bleiben zuhause und warten ab. Giuseppe ist Rentner und empfindet Respekt vor dem Virus, nicht Angst wie er sagt. Ihn hat erschüttert, dass am Sonntag sogar die Kirche in seinem Dorf geschlossen war und die Messe abgesagt wurde. "Wir hatten eine Beerdigung. Die Menschen bekamen keinen Trauergottesdienst, sondern mussten den Sarg gleich zum Friedhof bringen. Das ist schlimm", meint Giuseppe. "Jetzt ist es in Vittadone noch ruhiger als sonst und keiner weiß, wie lange das dauern soll."
Suche nach dem Infektionsherd
Die Frage kann auch die Regierung im fernen Rom derzeit nicht beantworten. Die Gesundheitsbehörden sind sich ziemlich sicher, dass sie in Codogno, einer Kleinstadt nicht weit von Vittadone, den Patienten "Null" gefunden haben. Ein 38 Jahre alter Mann soll vor Wochen im Krankenhaus von Codogno viele Menschen mit dem Corona-Virus infiziert haben. Fast alle Fälle in der Lombardei ließen sich auf ihn zurückführen, heißt es in den Medien. Jetzt ist die Regierung dabei, alle Menschen ausfindig zu machen, die mit dem Patienten "Null" irgendwie Kontakt hatten. Die Kette der Infektionen soll unterbrochen werden. Ein Mitarbeiter des inzwischen geschlossenen Krankenhauses von Codogno, den die Nachrichtenagentur ANSA wegen der Quarantäne nur telefonisch erreichen konnte, beklagt chaotische Zustände. "Hier herrscht Panik, weil keiner weiß, wie es weitergeht und wie wir mit unseren Notfällen umgehen sollen", klagt der namentlich nicht genannte Mitarbeiter.
Wo sich der Patient "Null" angesteckt hat ist noch unklar. Er war nicht in China, sondern hatte nur Besuch von einem Freund, der aus China zurückkehrte, aber negativ auf das Covid-19-Virus getestet wurde.
Zur Not: Abtauchen
Um die Mittagszeit wird Enzo in Vittadone nachdenklich. Sein Stammlokal, in dem er sonst gerne einkehrt, liegt in der "Roten Zone". Deshalb will er heute eine Trattoria in einem "sauberen" Dorf weiter nördlich ausprobieren. Ein Jugendlicher gesellt sich zu der Gruppe von Dorfbewohnern, die an der Straße ein Schwätzchen mit dem Reporter aus Deutschland halten. Der Junge trägt eine Taucherbrille. Auf die Frage, wozu das gut sein soll, meint er das Geld für eine richtige Maske habe er nicht. Da müsse halt die Taucherbrille genügen. Außerdem sehe die Schnorchelmaske, die das ganze Gesicht abdeckt, doch "cool" aus.