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Leben in einer anderen Welt

10. Dezember 2009

Die fremde Welt ist Doreen Grüttner nicht mehr fremd. Denn ihr Leben und der Blick darauf haben sich verändert. Und das liegt nicht nur daran, dass die junge Deutsche jetzt fließend Hindi spricht.

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Motorrikschas (Foto: DW)
MotorrikschasBild: DW/Mark Kleber

Wer mit der Motorrikscha durch Nagpur fahren will, der braucht dafür Verhandlungsgeschick und gute Nerven. Doreen Grüttner muss sich erst einmal mit dem Fahrer auf den Preis einigen. „Fifty“, will der Fahrer haben. „Tike“, meint Doreen Grüttner. Tike - das heißt in Ordnung. An das Verhandeln hat sich Doreen Grüttner gewöhnt. Sie hat die Zeit genutzt, um Hindi zu lernen, inzwischen spricht sie es fast fließend – auch wenn der Taxifahrer erst einmal alle Ausländer auf Englisch anspricht.

Die Farben Indiens (Foto: DW)
Die Farben IndiensBild: DW/Mark Kleber

Dabei gibt es schon das ein oder andere typisch Indische an Doreen Grüttner zu beobachten: Sie trägt indische Blusen und Tücher und sogar manch indische Gesten hat sie in den vergangenen sechs Monaten angenommen: „Das Kopfwackeln. Ich weiß nicht, ob mir das in Fleisch und Blut übergegangen ist, ich habe einfach festgestellt, dass die Menschen hier das verstehen. Und ich habe diese Geste von Anfang an gemocht. Weil die ist ganz weich und fließend.“

Vielsagendes Kopfwackeln

Schwertransport auf Indisch (Foto: DW)
Schwertransport auf IndischBild: DW/Mark Kleber

Kopfwackeln kann bedeuten: Vielleicht. Oh ja. Unbedingt! „Diese Geste fand ich irgendwie sympathisch“, meint die 29-jährige. Anderes ist ihr weniger sympathisch geblieben. Zwar schockiert sie die Armut vieler Menschen nicht mehr so wie am Anfang. Doch als ein Rikschafahrer einen Bettler schlägt, protestiert sie sofort. „Ich hab hier oft gesehen, dass Menschen, die in der Hierarchie irgendwo niedriger stehen, in einer Art und Weise behandelt werden, die man in Deutschland als würdelos bezeichnen würde oder sogar unmenschlich. Ich bin nicht immer in der Situation, dass ich tatsächlich körperlich dazwischen gehen kann. Aber ich kann doch kund tun, dass ich dieses Verhalten nicht gut finde.“ Sie glaubt, dass ihr Auftreten schon einen Unterschied macht, dass ihre Haltung nicht ignoriert wird.

Wozu Kuhfladen gut sind

Am unteren Rand der Gesellschaft leben auch viele Kleinbauern in den Dörfern südlich von Nagpur. Zusammen mit einer Kollegin von der indischen Organisation Ecumenical Sangam besucht Doreen Grüttner die Dörfer fast täglich. Das Ziel ihrer Besuche: Mehr zu erfahren über die Lage der Bauern und sie zu informieren über Bio-Landwirtschaft. Zum Beispiel, wie man teuren Kunstdünger durch eine traditionelle Mischung aus Melasse, Kichererbsenmehl und ganz viel Kuhfladen ersetzen kann, die ihren Zweck genauso erfüllt.

Und was macht sie, wenn sie mal frei hat?

Obstverkäuferin (Foto: DW)
ObstverkäuferinBild: DW/Mark Kleber

Im abgelegenen Basiszentrum des Ecumenical Sangam hat Doreen Grüttner die meiste Zeit ihres Freiwilligendienstes verbracht. Ohne jede Möglichkeit auszugehen, sogar ohne Internet. Aber dafür, so sagt die 29-Jährige, mit Möglichkeiten, die in einer indischen Millionenstadt wie Nagpur einfach wegfallen. „Es war einfach unmöglich, sich als Frau allein in der Öffentlichkeit irgendein gemütliches Plätzchen zu suchen. Man hatte sofort eine Traube von Menschen um sich. Und ich habe mir dann gedacht, jetzt kann ich verstehen: Gerade für Frauen ist es ja viel einfacher, im Hause zu bleiben. Also das macht echt keinen Spaß.“

Indische Erfahrungen mit deutschem Partykonzept

Weihnachtsbaum - Ein Hauch von Weihnachtsstimmung mitten in Indien (Foto: DW)
Ein Hauch von Weihnachtsstimmung mitten in IndienBild: Mark Kleber

Durch die Arbeit habe sie indische Freunde gefunden, sagt Doreen Grüttner, aber sie hat auch immer wieder erfahren, dass es gar nicht so leicht ist, zwischen den verschiedenen Kulturen Brücken zu bauen. Zum Beispiel, als die deutschen Freiwilligen vor kurzem ihre indischen Kollegen zu einer Weihnachtsfeier einluden, offenbar hatte aber niemand verstanden, was auf den Ankündigungen stand. Zwar war die Einladung in korrektem Hindi verfasst, aber die Kollegen warteten auf eine mündliche Einladung. Und als dann alle beisammen waren, kam auch nicht gerade Stimmung auf. „die Mädels haben weder den Mund aufgemacht noch sich bewegt, so lange die Jungs da waren. Also das deutsche Partykonzept hat definitiv nicht funktioniert“, erzählt sie lachend.

So vieles an Indien möchte sie gerne noch besser verstehen und deshalb länger im Land bleiben. Ob das klappt, steht noch nicht fest. Aber in Indien hat Doreen Grüttner eine Lebensweisheit gelernt: „Mache Pläne, aber sei nicht ganz verzweifelt, wenn sie nicht funktionieren.“

Autor: Mark Kleber
Redaktion: Birgit Görtz