"Lebt wohl, meine Lieben": Letzte Briefe von Holocaust-Opfern
In Konzentrationslager oder Ghettos verschleppt, schrieben viele Juden Briefe an ihre Lieben. Kurz darauf wurden sie ermordet. Die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem erinnert in einer Online-Ausstellung an diese Menschen.
Ein Junge wie jeder andere
Was für ein Foto! Durch die mehrfache Spiegelung scheint Salman Levinson uns aus allen Richtungen anzuschauen. Aufgenommen wurde es 1937. Da ist der kleine Salman, genannt Sima, noch ein Kind wie jedes andere. Er wächst mit Mutter Frieda und Vater Selig in Riga auf. Seine Tante ist 1936 nach Eretz Israel ausgewandert, damals britisches Mandatsgebiet Palästina. Ihr schreibt er regelmäßig Briefe.
Ein Haus aus Riga
Kurz nach seinem neunten Geburtstag bedankt sich Salman bei seiner Tante Agnes für das Geschenk, das sie ihm geschickt hatte mit einer Zeichnung. "Bait" - hebräisch für "Haus" - schreibt er darüber. Kurz darauf besetzt die deutsche Wehrmacht Riga. Agnes hört nichts mehr von ihrem Neffen. Erst nach dem Krieg erfährt sie: Salman und seine Eltern wurden ins Ghetto Riga deportiert und ermordet.
Den Opfern ein Gesicht geben
In einer Online-Ausstellung zeigt Israels Holocaustgedenkstätte Yad Vashem die letzten Briefe von Holocaustopfern - ihre letzten Zeilen bevor sie von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Dazu: Fotos der Briefeschreiber und ihrer Familien. Oben im Bild: Die Kinder der Familie Keller-Moses in den zwanziger Jahren. Sie kamen aus Aachen.
J wie Jude
Auf Sigfried Kellers Pass stempelten die Nazis 1938 ein großes "J" für "Jude" - für viele ein Todesurteil. Sigfried überlebte als einziger der Familie. 2013 übergab er den Brief seiner Mutter Berta an Yad Vashem. Sie hatte 1942 aus Theresienstadt geschrieben: "Nun meine lieben Kinder lebt wohl & betet für uns und der lb. Gtt. wird ferner seine schützende Hand über uns halten sowie auch über Euch."
Zehn Briefe von tausenden
Aus tausenden Briefen, die im Archiv aufbewahrt werden, hat Yad Vashem zehn Briefe für die Ausstellung ausgewählt. Die meisten Verfasser wussten nicht, dass es ihr letzter Brief vor dem Tod sein würde. Gerade deutsche Juden, die wie Sigfried Bodenheimer - oben im Bild in Heeresuniform - im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, konnten sich nicht vorstellen, dass die Nazis sie umbringen würden.
Letzter Brief vor der Deportation
Viele der Briefeschreiber versuchten, Mut zu machen und verschwiegen, wie ihre Situation tatsächlich aussah. Anne Meininger schrieb an ihre Kinder: "Seit Mittwoch sind wir in einem Camp & es geht mir wirklich gut. Ihr braucht Euch wirklich keine Sorgen zu machen. […] Wenn wir nur weiter gegenseitig voneinander hören können. […] Seid innigst geküsst von Eurer Euch liebenden Mutti."
Auf der "Exodus" nach Eretz Israel
Aus dem Warschauer Ghetto schrieb Perla Tytelman an ihren Mann Jozef und die Tochter Rachel: "Ich nehme alle meine Kraft zusammen, um für Euch zu überleben. […] Unsere Sehnsucht nach einander ist grenzenlos." Perla wurde ermordet. Rachel und Josef aber überlebten und wanderten 1947 auf der "Exodus" nach Eretz Israel aus.
Der Zug nach Auschwitz
Das Bild "Transport No. 2" von Paul Kor zeigt jenen Zug, der seinen Vater nach Auschwitz brachte - in den Tod. Die Ausstellung "'Lebt wohl, meine Lieben'. Letzte Briefe aus dem Holocaust 1941-1942" erinnert zum Holocaustgedenktag mit einer Online-Ausstellung an die einzelnen Menschen hinter der großen Zahl der sechs Millionen ermordeten Juden Europas.