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Walesa und der Schatten der Staatssicherheit

Bartosz Dudek18. Februar 2016

Neu aufgetauchte Dokumente setzten Lech Walesa unter Druck. Der Ex-Präsident und Nobelpreisträger soll demnach in den 1970er Jahren Mitarbeiter des kommunistischen Geheimdienstes gewesen sein. Walesa bestreitet das.

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Porträt von Lech Walesa
Bild: picture-alliance/dpa

Der Vorwurf ist schwerwiegend, aber nicht neu. Noch in den frühen 1980er Jahren wurden den westlichen Botschaften in Warschau sowie Mitstreitern von Lech Walesa Dokumente zugespielt, die den charismatischen Gewerkschaftsführer und Bürgerrechtler als Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes kompromittieren sollten. 2011 hat jedoch das Institut für Nationales Gedenken (IPN), eine Behörde mit staatsanwaltlichen Befugnissen zur Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Polens, offiziell festgestellt, dass die belastenden Dokumente im großen Stil von der polnischen Staatssicherheit (SB) gefälscht wurden. Laut ehemaligen SB-Mitarbeitern wurden damals mehrere Teams beauftragt, die unter anderem Walesas Handschriftproben aus verschiedenen Phasen seines Lebens gesammelt und nachgemacht haben. Das Ziel wurde zum Teil erreicht. Das Gerücht, Walesa habe als inoffizieller Mitarbeiter (IM) "Bolek" für die Staatssicherheit spioniert, hat zum Zerwürfnis mit einigen Mitstreitern geführt. Die Dokumente, die der norwegischen Botschaft zugespielt wurden, haben allerdings nicht verhindert, dass Walesa 1983 der Friedensnobelpreis verliehen wurde.

Politische Waffe

Die Gerüchte über Walesas angebliche Spitzeltätigkeit bekamen nach dem Ende des Kommunismus und seiner Wahl zum Staatspräsidenten (1990) eine zusätzliche politische Brisanz. Am 4. Juni 1992 veröffentlichte der damalige Innenminister Antoni Macierewicz eine Liste mit 64 ehemaligen SB-Agenten in den höchsten Staatsämtern. Der prominenteste Name: Lech Walesa, der angebliche IM "Bolek". Schon in jener Nacht hat der Sejm mit aktiver politischer Unterstützung des Staatspräsidenten Walesa die Regierung Jan Olszewski durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Olszewskis und Macierewiczs Partei hieß damals "Porozumienie Centrum" ("Zusammenschluss Zentrum"). Die Gründer dieser Partei waren die Brüder Lech und Jaroslaw Kaczynski, die in dieser Zeit nach deren Rauswurf aus der Präsidialkanzlei bereits auf Kriegsfuß mit Walesa standen. Bis heute stellen Jaroslaw Kaczynski (heute der Vorsitzende der alleinregierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit", PiS) und Antoni Macierewicz (heute Verteidigungsminister der PiS-Regierung) den Sturz der Regierung Olszewski als einen "Coup der ehemaligen Agenten" dar.

Lech Walesa spricht zu seinen Anhängern (1990) FOTO: WOJTEK DRUSZCZ, AFP
Lech Walesa spricht zu seinen Anhängern (1990)Bild: Getty Images/Afp/Wojtek Druszc

Walesa und sein damaliges politisches Lager haben dagegen stets betont, dass die Liste lediglich die in den SB-Akten registrierten Agenten umfasste, was über die tatsächliche Mitarbeit nichts aussagt. Im Jahr 2000 hat das "Lustrationsgericht", ein Gericht, das die Erklärungen der hohen staatlichen Würderträger auf deren Wahrheitsgehalt prüft, Lech Walesa Recht zugesprochen. Demnach entsprach seine Behauptung, er wäre kein inoffizieller Mitarbeiter der SB, der Wahrheit. 2011 gab ein Gericht Walesas Recht, als er einen ehemaligen Mitstreiter dafür verklagt hatte, ihn als Geheimdienstagenten bezeichnet zu haben. Das Urteil: Er musste sich bei Walesa offiziell entschuldigen.

"Lebensversicherung" von Kiszczak?

Die Mitteilung des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), man habe neue Dokumente zur angeblichen Mitarbeit Lech Walesas mit der SB gefunden, hat der Diskussion um den wohl bekanntesten Polen neuen Aufschub gegeben.

Man habe die Personalakte, darunter die Verpflichtung zur Zusammenarbeit, sowie die Arbeitsakte des IM "Bolek", inklusive handgeschriebener Berichte sowie Quittungen aus den Jahren 1970-1976, gefunden, teilte der Direktor des IPN, Lukasz Kaminski, mit. Der Inhalt von mehreren hundert Seiten werde analysiert, hieß es.

Die Akte befand sich im Nachlass des im November verstorbenen Generals Czeslaw Kiszczak. Dieser war der engste Mitarbeiter des damaligen KP-Chefs Generals Wojciech Jaruzelski. In den Jahren 1981-90 war er Innenminister und damit Herr über die Geheimdienste und deren Archive. Kiszczak sollte die angeblichen Walesa-Akten unrechtmäßig zu Hause aufbewahrt haben. Laut Presseberichten soll sie seine Witwe dem IPN zum Kauf angeboten haben, woraufhin eine Hausdurchsuchung in ihrem Anwesen durchgeführt wurde. Warum Kiszczak die Akte entwendet und aufwahrt haben sollte, bleibt unklar. Möglicherweise wollte er sie als Erpressungsmittel gegenüber Walesa bereit halten.

Offene Fragen

Obwohl Lech Walesa immer die faktische Zusammenarbeit mit der SB leidenschaftlich bestritt, bleiben einige Fragen zu seinem Umgang mit dem Geheimdienst und betreffenden Dokumenten tatsächlich offen. So gab er erst 2011 in einem Interview zu, dass er eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der SB unterzeichnet habe. "Alle haben unterzeichnet, also habe ich es auch getan", sagte er damals. Er sei sich dabei aber sicher gewesen, dass er "nicht auf die andere Seite wechseln" werde. "Ich habe die Entscheidung getroffen, dass ich dadurch imstande sein werde, mehr zu erreichen, mehr zu schützen. Wenn ich mein Leben wiederholen sollte, würde ich es nochmals auf diese Weise machen, mit allem, sogar mit diesen Kontakten zur SB, weil man sie nur auf diese Weise überlisten konnte", betonte er. Die Frage, ob er Geld genommen oder irgendwelche Berichte geschrieben habe, ließ er allerdings unbeantwortet. Walesas Anhänger weisen in diesem Kontext darauf hin, dass es sehr problematisch sei, die komplizierten Zusammenhänge in einem diktatorischen Polizeistaat aus heutiger Sicht zu beurteilen.

Die Gegner Walesas halten ihm jedoch vor, dass er sich während seiner Amtszeit als Staatspräsident seine alte SB-Akte zukommen ließ. Später wurde festgestellt, dass die Akte nicht vollständig war. Es ist bis heute nicht klar, ob die Akte bereits vor der Einsicht nicht komplett war, wie Walesa behauptet, oder ob das unbequeme Material von ihm entfernt wurde, wie es seine Gegner behaupten.

Der Betroffene selbst versichert angesichts der neuen Enthüllungen auf seinem Mini-Blog, dass es "keine von mir stammenden Dokumente geben kann". Falls nötig, "werde ich das vor Gericht beweisen".