Lehrerin klagt gegen Kopftuchverbot
14. April 2016Es ist ein hochpolitischer Präzedenzfall: Eine muslimische Lehrerin bewirbt sich nach ihrer Ausbildung als Grundschullehrerin auf eine Arbeitsstelle in Berlin. In einem zentralen Auswahlprozess stellt sie sich den Fragen von zahlreichen Schulleitern. Sie wollen von ihr wissen, ob sie gedenke, ihr Kopftuch im Unterricht abzunehmen. Die junge Frau verneint. Wenig später teilt die Behörde ihr mit, eine Einstellung sei derzeit nicht möglich.
Nun klagt die Pädagogin vor dem Berliner Arbeitsgericht: Sie sei wegen ihres Kopftuchs diskriminiert worden. "Ihre Ablehnung ist nicht auf berufliche Qualifikationen zurückzuführen", so ihre Anwältin Maryam Haschemi zur DW. "Bei dem akuten Lehrermangel, der in Berlin herrscht, muss man hinterfragen, warum qualifizierte, gut ausgebildete Menschen nicht eingestellt werden."
Berliner Neutralitätsgesetz
Die Klage greift ein Thema auf, das seit zwei Jahrzehnten in Deutschland heftig diskutiert wird, juristisch und gesellschaftlich. Wie sollen wir mit sichtbaren religiösen Symbolen oder Kleidungsstücken in Schulen umgehen? Dürfen wir das Tragen des Kopftuchs grundsätzlich verbieten? Wie passt das mit der freien Religionsausübung zusammen?
Zeitweise hatten mehrere Bundesländer Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern grundsätzlich verboten. Dann stärkte das Bundesverfassungsgericht die Rechte der Pädagoginnen Anfang 2015. Die Obersten Richter entschieden, das Tragen eines Kopftuchs dürfe nur dann verboten werden, wenn es den Schulfrieden stört.
Doch in Berlin entschied der zuständige Senat trotz des Urteils des Verfassungsgerichtes, sein zehn Jahre altes sogenanntes Neutralitätsgesetz unverändert zu lassen. Das verbietet öffentlichen Bediensteten wie Lehrerinnen, Polizeibeamtinnen oder Richterinnen, im Dienst ein Kopftuch zu tragen, weil das die staatliche Neutralität gefährden könnte. Dahinter steht die Sorge, religiöse Symbole könnten Schüler beeinflussen. Darum sind Lehrerinnen an Berufsschulen von der Regel ausgenommen, weil die Schüler dort meist volljährig und deshalb weniger beeinflussbar seien.
"Das Berliner Neutralitätsgesetz diskriminiert derzeit vor allem muslimische Frauen, die Kopftücher tragen. Es würde aber auch einen jüdischen Lehrer treffen, der die Kippa tragen möchte", so Rechtsanwältin Haschemi. Sie hat bereits vor drei Jahren eine Entschädigung für eine muslimische Zahnarzthelferin erstritten, der eine Stelle wegen ihres Kopftuchs verweigert worden war.
Haschemi kennt die Probleme muslimischer Frauen nicht nur aus ihrer Praxis als Rechtsanwältin, sondern auch aus ihrer Arbeit beim Anti-Diskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes Berlin. Ihre jetzige Mandantin ist kein Einzelfall, betont sie. Derzeit sei es schwer für muslimische Frauen mit Kopftuch, in bestimmten Bereichen eine Anstellung zu finden. "Die Jobcenter verweisen diese Frauen oftmals auf Tätigkeiten im Callcenter, weil sie da nicht zu sehen seien."
Bis zum Verfassungsgericht?
Die Berufsverbände, die die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer vertreten, verfolgen die Klage der Berliner Grundschullehrerin mit Spannung. Udo Beckmann war lange Jahre selbst Lehrer in Dortmund, an einer Schule mit vielen muslimischen Kindern. Heute ist er Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung. "Wenn man das ernst nimmt, was gerade traditionalistische Gruppierungen mit dem Kopftuch verbinden, dann kann man das Kopftuch auch als Ausdruck religiöser Intoleranz oder gar Frauenfeindlichkeit werten. Das sehe ich als ein nicht zu unterschätzendes Problem", so Beckmann zur DW. Wenn die Lehrerin Kopftuch trage, wachse der Druck auf muslimische Mädchen, es ihr gleichzutun.
Nicht alle Muslimas tragen ein Kopftuch freilich aus streng religiösen Gründen - es kann vieles repräsentieren bis hin zum modischen Accessoire.
Die Klage der Berliner Lehrerin zielt denn auch in erster Linie auf Schadensersatz. Drei Monatsgehälter könnte die Pädagogin im besten Fall bekommen, wenn das Gericht entscheidet, dass sie unter Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz abgewiesen wurde.
Politisch geht es aber in dem Verfahren um mehr. Die zuständigen Arbeitsrichter haben die Möglichkeit, das Berliner Neutralitätsgesetz als verfassungswidrig einzustufen und die Klage der Lehrerin direkt an das Bundesverfassungsgericht weiterzuleiten. Dann müsste das Oberste Gericht erneut Klarheit in die Gesetzgebung bringen - und könnte für die Klägerin und andere muslimische Lehrerinnen einen Weg eröffnen, in Zukunft auch mit Kopftuch unterrichten zu dürfen.