Die Kunst der Vorzeit
7. April 2021Leo Frobenius - Afrikareisender, Abenteurer und Anthropologe - ist heute nur für wenige ein Begriff. Dabei war er einer der bedeutendsten, aber auch einer der umstrittensten Ethnologen seiner Zeit. Sein Schaffen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Bedeutung für die moderne Kunst zeigt die aktuelle Ausstellung "Kunst der Vorzeit - Felsbilder der Frobenius-Expeditionen" im Museum Rietberg in Zürich.
Wer war Leo Frobenius?
Der 1873 in Berlin geborene Leo Frobenius war der Erste, der systematisch die Stätten der Höhlenmalerei weltweit dokumentierte. Er reiste nach Afrika, nicht um - wie seine Vorgänger - Krokodile und Gorillas zu erforschen. Leo Frobenius interessierte sich für die frühen Hochkulturen. Der Autodidakt wollte sie erfassen und rekonstruieren.
Er war fasziniert von prähistorischer Felsenkunst. Der deutsche Ethnologe, ein umtriebiger Wissenschafts-Netzwerker, leitete ab 1913 zahlreiche kostspielige Expeditionen durch Höhlen in Europa, Afrika und Australien. Dafür engagierte er überwiegend Malerinnen, die die Höhlen- und Felsenmalereien in meist schwer zugänglichen Gebieten akribisch auf großen Leinwänden abmalten. So entstanden um die 5000 Bilder, dessen Originale heute zum Teil verschwunden sind.
Eine ganze Reihe von Expeditionen führten Frobenius' Team in die Sahara: Aus dieser Region stammt die im unten folgenden Video zu sehende Höhlenritzung, die den Angriff eines Leoparden auf ein Elefantenbaby zeigt, das von seiner Mutter verteidigt wird. In dieser Gegend gibt es heute nicht einen Grashalm. Und schon gar keine Elefanten. "Also müssen diese Bilder vor ungefähr 6000 bis 8000 Jahren entstanden sein, als die Sahara noch grün war", erklärt Richard Kuba, Kurator der Zürcher Schau.
Frobenius sah die afrikanische Kultur als der europäischen gleichwertig an. Er kritisierte die allgegenwärtige europäische Denkweise, die die Menschen in Afrika zu "Halbmenschen" erklärte. Dafür wurde er in Afrika geschätzt, unter anderem von den Gründungsvätern der Négritude-Bewegung, einer literarisch-politischen Strömung, die für eine kulturelle Selbstbehauptung aller Menschen Afrikas eintritt. Unter anderem Léopold Sédar Senghor, der erste Präsident Senegals, war Anhänger dieser Bewegung.
Umstrittener Anthropologe
Doch Leo Frobenius als Widersacher des Kolonialismus zu sehen, wäre ein Trugschluss: Er war ein Freund Kaiser Wilhelms II. - und später liebäugelte er mit den Nationalsozialisten. Er schätzte weder die Moderne, noch war er ein Vertreter der Emanzipation - obwohl ihn auf seine Expeditionen viele Malerinnen begleitet haben. Dies lag aber vermutlich daran, dass Leo Frobenius für männliche Expeditions-Begleiter mehr Ausgaben gehabt hätte als für Frauen, die sich zum Teil selbst finanzierten.
Durch die zahlreichen Kopien der Felsenmalerei wurde die Kunst der Vorzeit transportfähiger – und für viele Forscher sichtbarer und greifbarer. Die entstandenen Kopien waren allein als Dokumentationen im Dienste der Völkerkunde gedacht. Doch nachdem sie in den Dreißiger Jahren in bis zu 40 großen Ausstellungen zu sehen waren, wurden sie mehr und mehr als autonome Kunstwerke wahrgenommen. Und immer mehr Künstler der Moderne wie Paul Klee und Jackson Pollock interessierten sich für das, was ihre Kolleginnen und Kollegen vor 40.000 Jahren so getrieben haben. So hatte auch Paul Klee einen Frobenius-Bildband im Regal. Vermutlich sind einige seiner Bilder von der Höhlenkunst inspiriert.
Die aktuelle Ausstellung "Kunst der Vorzeit - Felsbilder der Frobenius-Expeditionen" im Museum Rietberg in Zürich ist noch ist zum 11. Juli 2021 zu sehen.