Lesbos: Hungerstreik als letzter Ausweg
18. Juli 2017Als ihn die Nachricht erreichte, dass sein Bruder Amir und zwei weitere Asylsuchende im Flüchtlingslager Moria in den Hungerstreik getreten waren, begann Arash Hampay seinen Protest. Er ging zum zentralen Platz beim Hafen von Mytilini, der größten Stadt auf Lesbos. Dort ließ er sich nieder, vor ihm ein Schild mit der Aufschrift: "Flüchtlinge sind keine Verbrecher."
Seit knapp drei Wochen campiert der iranische Flüchtling nun schon dort, ohne etwas zu essen. Seine 24-stündige Mahnwache unterbricht er nur, wenn er seinen Bruder in Moria besucht oder die Polizeiwache aufsuchen muss. Internationale und griechische Aktivisten stehen an seiner Seite, bewachen den Platz, damit er nachts schlafen kann.
Arash kam zusammen mit seinem Bruder Amir Hampay vor acht Monaten nach Griechenland. Sein Antrag auf Asyl war erfolgreich, der seines Bruders wurde abgelehnt. Amir legte Berufung ein, doch seit Monaten ist nichts passiert. Wie tausende andere wartet er auf die Bearbeitung seines Asylverfahrens. Die Insel dürfen sie nicht verlassen.
Im Lager gefangen
Zusammen mit Arash Bahroz aus dem Irak und Hussein Kozhin aus Syrien trat Amir Ende Juni in den Hungerstreik, um gegen die unwürdigen Bedingungen in Moria zu protestieren. Dort sind die drei in der sogenannten "Sektion B" inhaftiert, einem Gefängnis im Inneren des Lagers. Die griechischen Behörden hatten die Flüchtlinge dorthin gebracht, nachdem ihre Anträge abgelehnt wurden.
Für Arash stand außer Frage, dass er seinen Bruder unterstützen würde. "Wir haben beide dieselbe Geschichte, haben dieselbe Arbeit gemacht und sind zusammen nach Europa gekommen. Warum wurde er abgelehnt und ich nicht?" fragt Arash.
"Ich mache mir große Sorgen um seine Gesundheit", erzählt er. "Hier kommt regelmäßig ein Arzt vorbei und sieht nach mir. Aber im Lager gibt es niemanden." Arash stellt die Fotos der Hungerstreikenden sorgfältig auf den Treppenstufen auf, wo andere Flüchtlinge auf den Transport nach Moria warten. Nur unregelmäßig fährt der Bus zum Lager, das, versteckt vor Touristen und Anwohnern, weit weg auf einem Berg gelegen ist.
Stockende Umverteilung
Seit März 2016 ist das EU-Türkei Abkommen in Kraft. Zur selben Zeit wurde die Balkan-Route geschlossen. Seitdem halten griechische Behörden die neu ankommenden Flüchtlinge fest; Schätzungen zufolge warten derzeit 14.000 Menschen auf den Inseln Chios, Lesbos und Samos. Der UNHCR vermutet jedoch, dass die Zahl niedriger ist. Die Flüchtlinge dürfen die Inseln nicht verlassen, bevor sie die nötigen Papiere ausgestellt bekommen haben. Das kann allerdings Monate dauern. Einige Flüchtlinge berichten, dass man Papiere für 700 bis 1000 Euro illegal kaufen könnte.
Einige Flüchtlinge leben schon seit über einem Jahr in überfüllten, schmutzigen Lagern wie dem in Moria. Und obwohl seit dem Abschluss des EU-Türkei-Abkommens weitaus weniger Menschen nach Griechenland kommen: die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge auf Lesbos ist noch immer höher als die Zahl derjenigen, die die Insel verlassen.
Trotz der beschlossenen Umverteilung von Flüchtlingen auf verschiedene EU-Staaten stockt der Prozess - einige Länder weigern sich, Flüchtlinge aufzunehmen. Die griechischen Behörden sind mit der Bearbeitung der Asylanträge überfordert. Zudem werden Stimmen lauter, die die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei in Frage stellen. Die Türkei sei kein sicheres Land, heißt es.
Nachdem Amir Hampays Asylantrag abgelehnt wurde, ging er in die Berufung. Doch dann erschien an einem Morgen im April die Polizei in Moria, brachte ihn zum Hafen und setze ihn auf ein Schiff. Seine Abschiebung konnte in letzter Minute durch einen Eilantrag vor dem Europäischen Gerichtshof verhindert werden. Seitdem sitzt er in Moria fest.
Politisch verfolgt
Im Iran war Arash ein bekannter Menschenrechtsaktivist, Fotograf und Filmemacher. Er leitete die Organisation Hamyaran-E-Mehrandish, die sich für die Rechte von Frauen, Kindern und Flüchtlingen einsetzt. Als Arash noch ein Kind war, wurde sein Vater von iranischen Paramilitärs ermordet. Ein paar Jahre später traf einen seiner älteren Brüder das gleiche Schicksal. Wegen seiner Arbeit wurde Arash festgenommen, er wurde misshandelt, ihm wurden Zähne ausgeschlagen.
Im Januar 2016 beschloss Arash, aus seiner Heimat zu fliehen. Die Behörden warfen ihm illegale politische Aktivität vor, ihm drohten mehrere Jahre Haft. Zunächst flüchtete er in die Türkei. Als auch dort die Polizei auf ihn aufmerksam wurde, floh er weiter auf der Suche nach einer sicheren Umgebung. Was er vorfand, waren überfüllte, schmutzige Lager, umgeben von Stacheldraht. Flüchtlinge lebten in Zelten, die für die Temperaturen im Winter nicht ausreichend isoliert waren. Von mindestens vier Todesopfern ist die Rede.
"Wir hatten keine Elektrizität, keine Heizkörper. Eine Mutter und ihre Tochter sind gestorben, weil ihr Zelt Feuer gefangen hatte", berichtet Arash. "Das Blut war immer noch auf dem Boden zu sehen, und schon wurde ein neues Zelt an derselben Stelle aufgestellt."
Selbstverletzung, Depression
Nach fünf Monaten in Moria versuchte Arash, sich das Leben zu nehmen. Insgesamt sieben Monate verbrachte er im Lager, bevor er in eine Wohnung in Mytilini umziehen konnte. Die Organisation Human Rights Watch fand kürzlich in einer Studie heraus, dass viele Flüchtlinge auf den griechischen Inseln unter Angstzuständen und Depression leiden. Viele verletzten sich selbst.
Vergangene Woche war es zu Tumulten in Moria gekommen, als Bürocontainer der EASO, dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylanfragen (EASO), in Brand gesetzt wurden. Nach Angaben des UNHCR sind im Juni insgesamt 940 Menschen aus der Türkei in Lesbos angekommen, so viele wie seit September 2016 nicht mehr. 179 Menschen wurden auf das griechische Festland gebracht. Die Situation auf Lesbos verschärft sich weiter. In Moria leben etwa 2.700 Menschen, weitaus mehr, als die Kapazitäten vorsehen.
In den Cafés rund um Moria harren Flüchtlinge aus und suchen nach Wegen, die Insel zu verlassen. Andere fahren mit dem Bus nach Mytilini. Wer täglich mit dem Bus hin und zurück fährt, hat sein monatliches Taschengeld von 90 Euro schnell aufgebraucht. Dann gibt es noch diejenigen, die schon sehr lange auf der Insel sind: sie sehen teilnahmslos fern und sitzen ihre Zeit ab. "Wir dürfen hier nicht frei sein, und wir dürfen auch nicht wieder gehen", sagt Arash.
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Source: InfoMigrants2017