Lesen statt Rauchen
1. Juni 2004"Als Thomas und Melody sich verliebten, war Iva gerade erst zwei Monate tot. Melody rief sofort bei Meryll-Johnson in Chicago an und sagte, sie käme von ihrem Europa-Urlaub nicht zurück, dann fuhren sie nach Paris und nahmen sich eine Wohnung in der Rue Céline."
Das sind die ersten Sätze von Maxim Billers neuestem Roman. Ihn ganz vorzulesen, würde etwa dreieinhalb Minuten dauern. 58 Zeilen braucht Biller um die Geschichte von Thomas und Melody zu erzählen, die sich finden, sich trennen und wieder finden. Andere Autoren hätten mit diesem Stoff 500 Seiten gefüllt.
Rauchen ist schädlich, aber …
Die Idee für solche Mini-Romane hatte der Blumenbar-Verlag in München: Ein guter Roman muss nicht lang sein, sagte man sich dort. Überhaupt: Eigentlich passe alles, was über Liebe, Tod, Glaube oder Sehnsucht gesagt werden soll, auf die Vorder- und Rückseite einer Zigarettenschachtel. Und weil der Verlag natürlich nicht direkt auf die Packung drucken kann, hat man eine Papphülle entworfen. Einfach die Zigarettenschachtel in die Pappe stecken, fertig.
Eine raucherfreundliche Idee, die hilft, das zu verdrängen, was eigentlich jeder weiß: Rauchen ist schädlich. Seit Monaten steht es in Europa groß auf den Zigarettenpackungen: Wie kleine Todesanzeigen sehen sie aus, die Aufkleber, schwarze Schrift, schwarz umrandet: "Rauchen lässt Ihre Haut altern", "Rauchen verursacht Impotenz", "Rauchen tötet."
Kombination aus Qualm und Geist
Eigentlich will die EU den Rauchern mit den Warnhinweisen das Rauchen abgewöhnen. Viele lassen sich davon aber nicht abschrecken, im Gegenteil: Das Geschäft mit Aufklebern, die die Warnhinweise überdecken, floriert. Man kann sie auf Klebefolie kaufen oder im Internet suchen und selbst ausdrucken. Dann steht auf den Zigarettenschachteln: "Die EU-Gesundheitsminister gefährden gutes Packungsdesign" oder "Totgesagte leben länger".
Das mag ja ganz witzig sein - aber richtiger Lesestoff ist das nicht. Die Kombination aus Qualm und Geist - eine gute Voraussetzung für Literatur, dachte sich der Blumenbar-Verlag. Fünf Autoren konnte er für seine Idee gewinnen: Doris Dörrie, Maxim Biller, Joseph von Westphalen, Wladimir Kaminer und Helmut Krausser haben schon einen Kurzroman geschrieben. Geraucht wird übrigens in keiner der Geschichten, Doris Dörrie hofft sogar, Raucher durch ihre Geschichte davon abzuhalten, sich eine Zigarette anzuzünden, sagt sie. Aber, ob das funktioniert?
Wettbewerb für Nachwuchs-Autoren
Seit ein paar Wochen gibt es die Zigarettenromane in den Buchläden, einer kostet 2 Euro. Der Blumenbar-Verlag hat für den Herbst schon eine zweite Edition geplant. Diesmal schreiben aber keine prominenten Autoren, sondern der Nachwuchs: Bis zum 9. Juni läuft ein Wettbewerb, Texte einreichen darf jeder, eine Altersbegrenzung gibt es nicht. Nur darf der Text nicht länger als 2500 Zeichen sein.