Rettungsversuch der NPD
21. Juni 2014Die beiden blonden Löckchen, die vorher rechts und links an seinem weißen Bart hingen, hatte er sich zum Einzug in den Dortmunder Stadtrat offenbar lieber abgeschnitten. "SS-Siggi", im wahren Leben Siegfried Borchardt, schaffte es bei den Kommunalwahlen im Mai in den Stadtrat der Ruhrmetropole. Der Mann, dessen Unterarme zahlreiche Tattoos zieren, begann seine Karriere 1982 als Gründer der Hooligangruppe "Borussenfront". Als Vertreter seiner rechtsextremen Partei "Die Rechte" darf er nun in der Politik mitmischen.
Am Mittwoch (18.06.2014) kamen alle Abgeordneten zu einer ersten konstituierenden Sitzung im Rathaus zusammen. Neben einem Aufgebot an Polizisten waren auch private Sicherheitsleute zugegen. Es blieb ruhig. "SS-Siggi" erschien mit rund 15 Gefolgsleuten, die aber auf der Zuschauertribüne keinen Platz mehr fanden: Die demokratischen Parteien hatten dafür gesorgt, dass die Empore bei ihrer Ankunft bereits komplett besetzt war.
Diese Ausgrenzung führte zu einer überraschenden Allianz: Der NPD-Politiker Alex Thieme kam ab und zu vorbei und sprach mit Borchardt. Eigentlich herrscht Eiszeit zwischen ihren rivalisierenden Parteien. Doch die NPD steckt in einer schweren Krise: Ihre Popularität ist gesunken - und sie soll verboten werden. Da braucht man zumindest jeden Bruder im Geiste.
V-Leute aus der NPD-Spitze ausgeschaltet
Im Dezember 2013 reichten die Innenminister der Länder und der Bundesrat ihren Antrag beim Bundesverfassungsgericht ein. Die NPD strebe eine rein deutsche "Volksgemeinschaft" an und ziele darauf ab, die Demokratie abzuschaffen, heißt es in dem Text. Der von den Berliner Professoren Christoph Möllers und Christian Waldhoff verfasste Antrag wirft der Partei weiter vor, das "Vertrauen in den Rechtsstaat" zu beeinträchtigen.
Es ist bereits der zweite Versuch, die rechtsextreme Partei verbieten zu lassen. 2003 scheiterte man, als herauskam, dass sogenannte V-Leute in der Parteispitze der NPD saßen. Diese hatten den Verfassungsschutz über Jahre mit Interna der NPD versorgt. Auf welche Seite sie tatsächlich gehörten, konnten manche selber nicht genau sagen.
Die Fehler aus der Vergangenheit will man in dem neuen Antrag nun nicht wiederholen. Deshalb sei alles gründlich überprüft und alle V-Leute aus der NPD-Spitze ausgeschaltet worden, hieß es von den Behörden. Die beteiligten Politiker versicherten, dass ihr Material quellenfrei ist. "Das heißt, dass keine V-Leute an den Dingen, die wir in der Begründung des Verbotsantrags der NPD zur Last legen, beteiligt gewesen sind", so der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius im Interview mit der DW.
Akteneinblick würde Arbeit des Verfassungsschutzes torpedieren
Daran hat die rechtsextreme Partei aber Zweifel und forderte am Donnerstag (19.06.2014) eine Einstellung des Verfahrens. Der hauseigene Anwalt der NPD sagt, man halte die offiziellen Aussagen der Innenminister für unglaubwürdig. Sie gelten nur für die Bundes- und Landesvorstände. Aber wie sehe es mit Kreisvorständen und Landtagsfraktionen aus, heißt es in der Zeitung "taz". Außerdem sei nicht auszuschließen, dass staatlich bezahlte Spitzel aus dem Umfeld die Parteiführung "anstachelten". Der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke hält das bloß für eine Unterstellung. Das belastende Material sei so bearbeitet worden, dass V-Männer nach größter Möglichkeit ausgeschlossen seien. Das bedeute aber nicht, dass es nicht doch noch den einen oder anderen gebe.
"Nicht alle Verfassungsschützer folgen immer der Wahrheit", so Funke. Das Restrisiko sei aber sehr gering. Für den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius kommt der Vorwurf der NPD wenig überraschend. "Die Partei erliegt der Versuchung, die Begründung für das Scheitern des Verbotsantrags von 2003 zu reaktivieren und glaubt, das könnte ein weiteres Mal funktionieren." Die NPD beantragte beim Bundesverfassungsgericht nun Einblick in sämtliche V-Mann-Akten. Dass das Gericht diesem Antrag zustimmt, gilt als eher unwahrscheinlich. Es würde die Arbeit des Verfassungsschutzes weiter torpedieren, so der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke.
Handeln - bevor die Partei gefährlich wird
Kritiker des Verbots warfen immer wieder die Frage auf, inwiefern eine Partei, die nicht erst seit dem Aufkommen der euro-kritischen Alternative für Deutschland (AfD) massiv an Stimmen verloren hat, überhaupt gefährlich sein kann und verboten werden muss. Boris Pistorius betont, dass nicht die aktuelle Bedrohungslage, sondern das Bedrohungspotenzial wichtig sei. Die Frage, ab wann eine Partei so gefährlich ist, dass man sie verbieten muss, könne dann vielleicht schon zu spät kommen.
"Historiker können bis heute nicht sagen, wann die NSDAP so stark wurde, dass die Stimmung in Deutschland im Hinblick auf 1933 gekippt ist", gibt der niedersächsische Innenminister zu bedenken. Momentan sind die Rechtsextremen auf dem absteigenden Ast: Bei den anstehenden Wahlen im Herbst wird die NPD laut Umfragen auch in Brandenburg, Thüringen und Sachsen nur Misserfolge einfahren. Der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke prognostiziert den Nationalsozialisten nur noch das Siegel "ferner liefen". Das sei durchaus "ein Sieg für die demokratische, liberale Kultur", so Funke.
Wann die Verhandlung über den Verbotsantrag eröffnet wird, ist noch nicht klar. Sollte es zum Prozess kommen und der Antrag beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich sein, könnte die NPD noch vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen vorgehen. Vorab kündigte die Parteispitze schon mal Überraschungen an. Vielleicht kommt es ja noch zu unerwarteten Allianzen.