Libor-Skandal, zweiter Teil?
16. August 2013379 Billionen US-Dollar. Anders ausgedrückt: 379.000 Milliarden. So groß soll das Volumen der weltweiten Zinsswap-Geschäfte sein. Zum Vergleich: das ist rund fünf mal so viel wie die jährliche Wirtschaftsleistung der gesamten Welt.
Zinsswaps sind Finanzinstrumente, die einen fixen Zinssatz in einen variablen umwandeln und umgekehrt. Länder, Städte und Firmen können sich damit gegen das Risiko schwankender Zinsen absichern, reine Spekulation ist natürlich ebenfalls möglich.
Geschäfte dieser Art werden zwischen den Vertragspartnern individuell ausgehandelt, es gibt also keine allgemeingültigen Regeln und auch keine zentrale Regulierung. Für die Berechnung benötigen die Handelspartner Referenzwerte, und zu den wichtigsten gehören der Libor-Zinssatz und ein Indikator namens Isdafix.
Im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass Banken den Libor-Zinssatz manipuliert haben. "Von der Größenordnung übersteigt das jeden Finanzbetrug in der Geschichte der Märkte", sagte damals Andrew Lo, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Gegen mehr als ein Dutzend Institute wird seitdem ermittelt. Drei Banken, die Schweizer UBS, Barclays und die Royal Bank of Scotland, haben bereits Strafen von zusammen mehr als 2,5 Milliarden Dollar gezahlt.
"20 Dollar für ein schlechtes Erdnussbutter-Sandwich"
Die US-Derivateaufsicht CFTC ermittelt seit April dieses Jahren zudem wegen des Verdachts, dass auch der Referenzwert Isdafix manipuliert wurde. Anfang August gab die deutsche Finanzaufsicht Bafin bekannt, den Vorwürfen ebenfalls nachzugehen. Weil in vielen Derivate-Geschäften sowohl der Libor als auch der Isdafix ein Rolle spielen, ist der genaue Schaden kaum zu beziffern.
"Man stelle sich vor, 20 Dollar für ein schlechtes Erdnussbutter-Sandwich zu bezahlen, weil eine Verschwörung von Agrobusiness-Firmen die Preise von Erdnüssen und auch von Erdnuss-Butter festsetzt", beschreibt der US-Autor Matt Taibbi die Situation. "Das gibt uns eine Vorstellung vom Wahnsinn der Finanzmärkte, wo Zinssätze und Zinsswaps gleichzeitig manipuliert werden, oft von denselben Banken."
Vertrauensfrage
Bei der Ermittlung der Referenzwerte Libor und Isdafix spielt Vertrauen eine große Rolle - Vertrauen in die Angaben der beteiligten Banken. Beim Libor befragt die British Bankers Association (BBA) täglich die wichtigsten, in London tätigen Banken, zu welchem Zinssatz sie sich gegenseitig Geld leihen.
Ebenfalls täglich fragt die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) mit Hauptsitz in New York bei einer ähnlichen Gruppe von Banken die entsprechenden Werte für Zinstauschgeschäfte ab, unterschieden nach Währungen und Laufzeiten. Aus den Angaben wird dann jeweils das Mittel gebildet - fertig sind die Referenzwerte, auf deren Grundlage Geschäfte im Billionenwert abgewickelt werden.
Dass man bei der Berechnung wichtiger Werte den nicht überprüfbaren Angaben von Instituten vertraut, ist in der Finanzwelt nicht ungewöhnlich. "Das gilt auch für viele Konjunkturdaten", sagt Fidel Helmer, der früher bei der Privatbank "Hauck & Aufhäuser" das Wertpapiergeschäft leitete. "Da wird sehr oft nur ein bestimmter Kreis von Leuten abgefragt. Aus deren Auskünften wird dann ein Durchschnittswert berechnet."
Große Versuchung, großes Geschäft
Wenn Banken die Referenzwerte so leicht manipulieren können, zahlen Kunden wahrscheinlich überhöhte Preise für Finanzprodukte, die auf diesen Werten basieren. In den USA haben geschädigte Kunden bereits Sammelklagen eingereicht.
Zudem besteht ein Interessenkonflikt, denn die Banken machen auch selbst Geschäfte auf Basis der manipulierten Referenzwerte. "So kann in einem Institut jemand angestellt sein, der die Informationen zur Verfügung stellt, die etwa den Libor beeinflussen. Und in derselben Bank wettet dann jemand darauf, ob der Zinssatz fällt oder steigt", sagt Charlotte Geiger von Finance Watch, einer Organisation mit Sitz in Brüssel, die sich für eine bessere Regulierung der Finanzmärkte einsetzt.
Es sei "eine große Versuchung", diesen Interessenkonflikt auszunutzen, sagt Geiger. Fidel Helmer, der jahrzehntelange Erfahrung auf den Finanzmärkten hat, sieht das ähnlich: "Es ist naheliegend, dass der ein oder andere da auf die Idee kommt, daraus ein Geschäft zu machen."
Ohne Konsequenzen?
Ein lohnendes Geschäft, wie das Magazin "The Economist" berichtet. Nach Angaben eines Händlers konnten Eingeweihte für jeden Basispunkt (0,01 %), um den der Libor bewegt wurde, "ein paar Millionen Dollar" einstreichen. Die "Financial Times" und andere britische Medien zitierten Händler, die angeben, dass der Libor seit den frühen 1990er Jahren regelmäßig manipuliert worden sei.
Finance Watch fordert daher, Referenzwerte wie Libor und Isdafix künftig auf der Basis von realen, nachprüfbaren Werten zu berechnen. "Man sollte für die Angaben auch zur Rechenschaft gezogen werden können", so Charlotte Geiger gegenüber DW. Die Europäische Union ist dabei, ihre Richtlinien für Marktmissbrauch zu überarbeiten.
Strafrechtliche Konsequenzen hatten die Manipulationen des Libor-Zinssatzes bisher nicht. Auch die deutsche Finanzaufsicht Bafin konnte bei ihrer Überprüfung der Deutschen Bank keine Hinweise auf kriminelle Handlungen auf Vorstandsebene erkennen. Die Bank habe allenfalls ihre Mitarbeiter zu lax kontrolliert, heißt es Finanzkreisen zufolge in dem Bericht der Bafin an die Bank.
Die Deutsche Bank selbst sieht das ähnlich. Nach ihren eigenen Untersuchungen sei "nach aktuellem Stand (...) kein amtierendes oder früheres Mitglied des Vorstands in irgendeine unangemessene Weise in die untersuchten Vorgänge um Referenzzinssätze verwickelt". Lediglich eine "begrenzte Zahl von Mitarbeitern" habe auf Eigeninitiative entgegen den Standards der Bank gehandelt, teilte die Bank mit.