Libyen am Scheideweg
25. Februar 2011Nachdem er die Opposition in einer Fernsehansprache vor einigen Tagen als Drogensüchtige und Ratten beschimpft hatte, wechselte Muammar al-Gaddafi nun den Ton: In einer Rede, die er - wohl aus Sicherheitsgründen - nur per Telefon im Fernsehen halten konnte, behauptete der bedrängte libysche Staatschef, die jugendlichen Demonstranten würden von "Al Qaida" aufgestachelt und angetrieben. Und als "guter Landesvater" rief er die Eltern auf, die Kinder zu Hause zu behalten, damit sie nicht weiter den Gefahren dieses Einflusses ausgesetzt seien.
Die Worte des "Revolutionsführers" waren sicher ein Hinweis darauf, in welcher Bedrängnis dieser sich befindet, obwohl seine Sicherheitskräfte weiterhin mit unverminderter Härte gegen die Aufständischen vorgehen, die längst nicht mehr Demonstranten sind. Ein Ende dieser Kämpfe ist nicht abzusehen, auch nicht ihr Ausgang. Wollte Gaddafi mit seiner Bemerkung aber auch andeuten, was nach ihm kommen könnte? Wie so vieles in seinem Verhalten, so ist auch dies unklar.
Gaddafis Lage scheint aussichtslos
So viel aber scheint sicher: Wenn das Land sich nicht spaltet, dann wird Gaddafi den Übergang zu einem neuen, anderen Libyen nicht überleben. Fliehen kann er nicht - niemand will ihn aufnehmen. Und im Land selbst werden wohl neue Machtverhältnisse entstehen, obwohl die ersten Schritte in die Freiheit auf den Spuren gemacht werden, die Gaddafi gelegt hatte: In Bengasi und der Cyrenaika im Nordosten des Landes wie auch in anderen "befreiten" Orten haben sich Komitees gebildet, in denen angesehene Persönlichkeiten zusammensitzen - unter anderem Akademiker, Anwälte und Richter - und über die notwendigen Maßnahmen entscheiden, nachdem die Staatsgewalt aus ihren Orten verschwunden ist.
Es war Gaddafis Idee, das Land mit Volks-Komitees zu verwalten, aber er wollte dem Volk damit wohl mehr vorgaukeln, Basisdemokratie auszuüben. Die Stunde der Not scheint diese Basisdemokratie nun geschaffen zu haben. Dabei wird es kaum bleiben. Kommt das Gaddafi-Regime wirklich ans Ende, dann dürften die Libyer abschaffen, was an diese Zeit erinnert.
Welche Rolle spielen die Stämme?
Auch dann aber gilt, was den Staat Gaddafi geprägt hatte: Libyen ist - mehr als viele andere arabische Staaten - von Clans und Stämmen geprägt, und wer immer künftig die Macht ausüben will, muss Koalitionen und Bündnisse unter diesen schließen. Schlechte Karten dürften dabei libysche Exilpolitiker haben, denn die Stämme, die sich jetzt im Land gegen Gaddafi erheben, werden mehr als die Vertreter im Ausland Anspruch erheben auf die Gestaltung ihrer Zukunft.
Hierbei bleibt offen, in welche Richtung diese Entwicklung geht: Bengasi und der Nordosten sind traditionell islamisch-konservativ, deswegen könnte von dort der Versuch kommen, dem Land eine islamischere - wenn nicht gar islamistische - Ausrichtung aufzudrücken. Andere Gegenden werden dies aber nicht ohne weiteres übernehmen.
Bisher gibt es keine erkennbaren Führer und keine erkennbare Richtung des Aufstandes. Einig ist man sich nur darin, dass Gaddafi entmachtet werden soll. Unklar ist auch, wie die innere Struktur und die auswärtigen Beziehungen Libyens künftig aussehen sollen. Selbst wenn die Aufständischen sich darüber im Moment keine Gedanken machen sollten: Schon bald wird auch ihnen klar werden, dass die künftige Entwicklung in Libyen untrennbar verbunden ist mit der Nutzung der eigenen Ressourcen - Öl und Gas - für deren Verkauf wiederum geordnete Beziehungen zum Ausland nötig sind. Besonders zu Europa.
Autor: Peter Philipp
Redaktion: Thomas Latschan