Licht und Schatten an der Ostsee
21. September 2002"Biocon-Valley, das hat kein anderes Bundesland. Gerade auf dem Sektor der Biotechnologie haben wir Zuwächse wie sonst nirgendwo in Deutschland." Optimismus zu verbreiten gehört für Gerd Lange zum Beruf. Er ist Pressesprecher des von der SPD geführten Wirtschaftsministeriums in Mecklenburg-Vorpommern. Deshalb freut er sich, dass der Tourismus boomt und immer mehr Menschen Urlaub an der Ostsee machen. Die Weichen für eine wirtschaftlich bessere Zukunft seien gestellt, sagt Lange im Gespräch mit DW-WORLD.
Schlusslicht aller Bundesländer
Optimismus ist bitter nötig. Noch regiert in Schwerin eine rot-rote Koalition aus SPD und PDS. Die Zeiten jedoch sind alles andere als rosig. Die Statistik sieht für das Bundesland an der Ostseeküste sogar recht düster aus. Die Arbeitslosenquote zählt zu den höchsten in Deutschland, das Bruttoinlandsprodukt misst gerade ein Drittel dessen von Hamburg – bei nahezu identischer Einwohnerzahl.
Die negative Liste lässt sich beliebig erweitern: Die durchschnittlichen Löhne liegen weit unter Westniveau, die Menschen haben weniger Geld in der Tasche und unter der schwindenden Kauflust leidet der Einzelhandel. Junge Menschen ziehen weg, weil sie keine Arbeit finden. Die Landtagswahl am 22. September wird daran kurzfristig nicht viel verändern.
Brücke über die Ostsee
Quer durch alle Parteien herrscht der Konsens, dass Mecklenburg-Vorpommern aufgrund seiner geografischen Lage eine wichtige Brücke nach Skandinavien, dem Baltikum und Osteuropa werden kann. Langfristig könnte das zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führen. "Es gibt viele Gründe, warum Mecklenburg-Vorpommern hier seine Chance hat", sagt Karsten Neumann, wirtschaftspolitischer Sprecher der PDS im Gespräch mit DW-WORLD. "Die Beziehungen zu Skandinavien sind historisch gewachsen und zu den Staaten des Baltikums besteht eine enge kulturelle Bindung aus der Hansezeit."
Zögerliche Annäherung
Die Außenhandelsstatistik zeigt, dass die Handelsbeziehungen zu skandinavischen und baltischen Partnern in den letzten Jahren angestiegen sind. Bisher seien diese wirtschaftlichen Beziehungen aber noch nicht auf höchstem Niveau angelangt und müssten noch weiter ausgebaut werden. Die Ursache für die zögerliche Annäherung an diese neuen Wirtschaftsmärkte sieht Neumann in der Struktur der Binnenwirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns. 95 Prozent der Betriebe seien kleine Unternehmen, die nicht über genügend Kapital verfügten, um beispielsweise in den osteuropäischen EU-Beitrittsländern zu investieren. "Das Engagement kostet erst mal Geld und bringt erst später Vorteile", sagt Neumann.
Im Falle eines Wahlsieges will die Koalition daher verstärkt in zukunftsträchtige Branchen investieren und grenzüberschreitende Wirtschaftsprojekte fördern. Außerdem müsse der Außenhandel zwischen Mecklenburg-Vorpommern und den Ostseeanrainern ausgebaut werden.
"Regierung tut nicht genug"
"Wir müssen aufpassen, dass wir nicht hinter die Konkurrenz zurückfallen", warnt indess Reiner Holznagel, Pressesprecher des CDU-Landesverbandes gegenüber DW-WORLD. Die Chance, nach einem Ausbau der Häfen wieder ein wichtiger Umschlagplatz für Waren zu werden, sei da. Aber das Umschlagwachstum hänge von der Schnelligkeit und somit von der Infrastruktur ab. Der Regierung wirft er vor, hier "nicht genügend" zu tun. So müsste zum einen der Ausbau der Verkehrswege wie die Ostseeautobahn A 20 zwischen Lübeck und Stettin zügiger vorangetrieben werden. Sonst hätten Städte wie Hamburg oder das polnische Stettin auch in Zukunft die Nase vorn.
Auch die letzten drei Ostseewerften in Wismar, Rostock und Stralsund seien längst kein verlässlicher Wirtschaftsmotor mehr, so Holznagel. Einst waren sie der Stolz des Landes, die Privatisierung nach der Wende haben sie nur knapp und nur durch staatliche Zuschüsse überstanden. Dabei gehören die Werften, die jetzt von skandinavischen Unternehmern geleitet werden, zu den modernsten Kompaktwerften Europas. Damit könnten sie durchaus einen Weg in die Zukunft weisen. Aber die Realität sieht traurig aus: Waren hier noch 1991 etwa 24.000 Menschen beschäftigt, sind es jetzt gerade mal 5.000.
Der CDU schwebt daher im Falle eines Wahlsieges vor, Mecklenburg-Vorpommern zu einer Drehscheibe für modernste Wissenschaft im nordeuropäischen Raum zu machen. Dies, so Holznagel, würde langfristig auch die Wirtschaft an die Küste locken.