Licht und viel Schatten
22. Dezember 2012Als Tiger gesprungen – als Bettvorleger gelandet. Es sind viele Überschriften für das Nationalmannschaftsjahr 2012 denkbar, aber sie laufen alle auf eines hinaus: Eine Mannschaft mit großem Potential hat die Ziele nicht erreicht, die sie sich gesteckt hatte.
Vor zehn Jahren war die Nationalmannschaft bei der WM in Japan und Südkorea bis ins Endspiel gelangt, das sie mit 0:2 gegen Brasilien verlor. Schaut man sich die Spieler der Finalelf an, sieht man, welch Erfolg allein die Endspielteilnahme gewesen war. Denn Thomas Linke und Carsten Ramelow, Gerald Asamoah und Carsten Jancker waren eher Fußballarbeiter als Fußballkünstler.
Immer wieder Italien
Im Jahr 2012 sah das schon ganz anders aus: Götze und Reus, Kroos und Khedria, Özil und Schweinsteiger – so viele Talente waren selten in einer deutschen Nationalmannschaft vertreten. Aber das Finale der Europameisterschaft im Jahr 2012 hat sie trotzdem verfehlt, mit einer 1:2-Halbfinalniederlage gegen Italien, das völlig verdient gewonnen hatte. Ausgerechnet Italien: WM-Halbfinale 1970, WM-Halbfinale 2006 – beide Male war Italien der Gegner, beide Male verlor Deutschland.
Die Niederlage bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine ging völlig in Ordnung: Die Italiener spielten taktisch klug, technisch versiert und waren effizient bei der Chancenverwertung. Die Deutschen waren zwar technisch gut, aber ineffizient vor dem Tor und taktisch falsch eingestellt. Und vor allem: falsch aufgestellt. Die formschwachen Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger spielten und Toni Kroos sollte den Sonderbewacher für Italiens Star Andrea Pirlo geben, was nicht funktionierte.
Das Spiel ging zwar auch durch individuelle Fehler in der Hintermannschaft verloren: Erst patzte Innenverteidiger Mats Hummels und dann machte ausgerechnet Kapitän Philipp Lahm beim zweiten Gegentreffer eine ganz schlechte Figur. Doch die meisten Beobachter waren sich einig: Der Trainer hatte die Elf falsch auf- und eingestellt. In Deutschland fanden sich nur wenige, die diese Diagnose nicht teilten, Bundestrainer Joachim Löw gehörte dazu.
Licht und Schatten beim Turnier
Ansonsten gab es bei der Europameisterschaft aus deutscher Sicht viel Licht und eine Menge Schatten: Portugal wurde mit Wille und Glück, Dänemark mit Wille und Kraft besiegt - und mit einem Tor des jungen Lars Bender nach tollem Sololauf. Für den gesperrten Jerome Boateng ins Team gekommen und zum ersten Mal auf der ungewohnten Position als Rechtsverteidiger eingesetzt, erzielte der Leverkusener in der 80. Spielminute den Siegtreffer.
In der Vorrunde wurden außerdem die Niederländer mit einer über weite Strecken guten Leistung bezwungen und im Viertelfinale die überforderten Griechen souverän besiegt. Warum die dabei überzeugenden Dortmunder Mario Götze und Marco Reus im folgenden Halbfinalspiel gegen Italien nicht auflaufen durften, hat der Bundestrainer bis heute nicht überzeugend erklärt.
Peinlich, peinlich …
Das letzte Pflichtspiel des Jahres wurde schließlich zum Spiegelbild des ganzen Fußballjahres 2012: Der Gegner in der Qualifikation für das WM-Turnier in Brasilien 2014 hieß Schweden, der Spielort am 16. Oktober war das Berliner Olympiastadion. Heraus kam eine Perle für jedes Kuriositätenkabinett. Denn das Spiel bestand aus zwei grundverschiedenen Teilen: 60 Minuten gut gespielt und 4:0 geführt, dann 30 Minuten gut geschlafen und vier Tore kassiert.
Auch bei dieser Partie machten die Abwehr und Torwart Manuel Neuer keine gute Figur – schläfrig und beinah widerstandslos ließen sie sich von den Skandinaviern vorführen. Um genau zu sein: Von einem Skandinavier. Denn es reichte den Schweden genau ein Klassespieler, um den Deutschen den Zahn zu ziehen: Zlatan Ibrahimovic demütigte die DFB-Kicker fast im Alleingang.
Wenig Freude bei den Freundschaftsspielen
Auch bei den anderen Länderspielen des Jahres war wenig Licht und viel Schatten. Es gab eine gute Leistung beim 6:1 im Qualifikationsspiel gegen die Iren in Dublin. Auf der anderen Seite stand aber nicht ein einziges überzeugendes Freundschaftsspiel. Nur gegen Israel gelang am 31. Mai in Leipzig wenigstens ein Sieg.
Der letzte Auftritt des Jahres war ein Freundschaftsspiel gegen den alten Rivalen Niederlande. Am 14. November kam es in Amsterdam zu einem torlosen Unentschieden nach neunzig langweiligen Minuten. Das interessanteste am Spiel waren noch die verbalen Spitzen der Trainer gegeneinander.
Nur die Trainer brachten Farbe ins Spiel
Louis van Gaal, 2011 von den Münchener Bayern als Trainer entlassen und nun holländischer Nationaltrainer, ist von sich selbst schon sehr überzeugt. Er hält sich für einen besseren Trainer als, beispielsweise, Joachim Löw. Er begründet das unter anderem mit der Feststellung, dass es seinem deutschen Kollegen noch nicht gelungen ist, ein Turnier zu gewinnen.
Jogi Löw erinnerte im Gegenzug daran, dass es für einen guten Trainer auch nicht unerheblich sei, sich wenigstens einmal für ein großes Turnier zu qualifizieren. An dieser Aufgabe war van Gaal als Bondscoach 2002 nämlich gescheitert.
Die restlichen drei Freundschaftsspiele des Fußballjahres 2012 gingen allesamt verloren: gegen Frankreich, die Schweiz und Argentinien. Und bei fast jedem Spiel die gleiche Diagnose: Nach vorn spielten die jungen Wilden schnell und gefährlich, in der Hintermannschaft waren sie oft unkonzentriert oder blauäugig - international nicht auf höchstem Niveau. Das zumindest scheint der Bundestrainer genauso zu sehen, im nächsten Jahr will er daran arbeiten.