EU und Mercosur: Liebe auf den zweiten Blick
2. Februar 2018EU und Mercosur seien jetzt in der alles entscheidenden Phase, heißt es aus Verhandlungskreisen der Europäischen Union in Brüssel. Geduld sei aber immer noch das Zauberwort, um die Knackpunkte des geplanten Abkommens mit dem südamerikanischen Staatenbund aufzulösen. Dabei sind sich beide Parteien einig: Das Zeitfenster ist nur noch wenige Wochen offen und schließt dann wieder bis 2019. Hintergrund: Im Oktober wird in Brasilien gewählt, die neue Regierung in Brasilia könnte möglicherweise dem Handel mit Brüssel nicht so offen gegenüberstehen.
Die bald nur noch 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssten beim Import landwirtschaftlicher Produkte aus Südamerika generöser sein. Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay hingegen seien vor allem bei der Einfuhr von Autos, Milchprodukten wie Käse und bei Fisch aus Europa gefordert, heißt es weiter aus Verhandlungskreisen der Europäischen Union. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Jyrki Katainen, bringt es auf den Punkt: Es laufe das "Endspiel der Verhandlungen".
Freihandelsabkommen als Antwort auf Protektionismus der USA
Für Mark Heinzel vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag ist es ein Finale, bei dem es zwei Gewinner geben wird: "Es ist für die deutsche Wirtschaft sehr wichtig und hat auch für die lateinamerikanische Seite viele Vorteile." 85 Prozent der EU-Ausfuhren in den Mercosur unterliegen derzeit dem Zoll, dies kostet auf europäischer Seite vier Milliarden Euro. "Wenn wir das einsparen, belebt das die Handelsströme", ist sich Heinzel sicher und sieht die Vorteile eines Freihandelsabkommens auch beim Mercosur: "Brasilien hat das dringend nötig, Argentinien auch, beide Länder sind im Umbruch und können nur davon profitieren."
Einen Abbruch der Verhandlungen befürchtet der Lateinamerika-Experte nicht mehr: "Es geht nicht mehr ums Scheitern, es geht jetzt um die Umsetzung." Und dabei weniger um das Thema Wegfall der Zölle, sondern vielmehr um das gemeinsame Definieren von Normen und Standards. Was in Brasilien, einem Land mit sehr vielen deutschen Industrieinvestitionen, längst überfällig sei: "Damit deutsche Unternehmen, die in Brasilien produzieren, effizienter nicht nur für den nationalen Markt, sondern aus Brasilien auch für den Weltmarkt produzieren können".
Die Europäische Union forciert aktuell ihre Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Ländern und Regionen der Welt: Im September war das umstrittene BündnisCETA mit Kanada in Kraft getreten, im Dezember hatte die EU ein Abkommen mit Japan geschlossen - auch als Antwort auf den protektionistischen Kurs der USA unter Präsident Donald Trump. "Es ist im Moment besonders wichtig zu zeigen, dass nicht alle in der Welt so denken, wie das bestimmte Regierungen nördlich von Mexiko tun", erklärt Mark Heinzel vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag süffisant.
Abkommen auf Kosten der Verbraucher?
Der Diplom-Biologe Jürgen Knirsch von Greenpeace befürchtet dagegen, dass das Endspiel der Verhandlungen zum Nachteil der Verbraucher ausgehen könnte. Die EU sei vor allem daran interessiert, ihren Firmen neue Absatzmöglichkeiten zu erschließen. Daher sei sie bereit, den Mercosur-Staaten große Zugeständnisse zu machen. Umwelt- und Verbraucherschutz spielten dabei keine große Rolle, also "unter welchen Bedingungen Rindfleisch produziert oder Zuckerrohr angebaut wurde". Ganz im Gegenteil, glaubt Knirsch: "Die Standards, die wir in Europa haben, sollen abgesenkt werden, damit die Mercosur-Länder im Gegenzug unsere Importe akzeptieren".
Was da auf die Verbraucher der Europäischen Union zukomme, sei schon beim Gammelfleischskandal in Brasilien Anfang letzten Jahres offensichtlich geworden. Damals wurden Inspektoren in den Schlachthöfen bestochen, damit sie Gammelfleisch durchgehen ließen. "Die EU weiß das, auch die europäischen Verbraucherschützer warnen, dass die Kontrollen in den brasilianischen Schlachthöfen nicht ausreichend sind", moniert der Greenpeace-Experte. Aber deswegen den Freihandel mit dem größten Fleischexporteur der Welt aufs Spiel setzen? Natürlich nicht, antwortet Jürgen Knirsch, stattdessen wolle die Europäische Union jetzt lieber einen Schnelltest durchführen, statt das Fleisch ordnungs- und sachgemäß zu überprüfen.
Auch Knirsch ist sich sicher, dass das Freihandelsabkommen bald unterzeichnet wird. "Vor allem von Irland und Frankreich gab es ja Widerstand, die sich dagegen wehrten, dass mehr Fleischimporte kommen, weil das zu Lasten der einheimischen agrarischen Produzenten geht." Dieser Widerstand sei jetzt aber gebrochen. Und dies wiederum hätte ernsthafte Konsequenzen für viele Facetten im Verbraucherschutz: "Es geht ja nicht nur um die Fleischproduktion. Damit einher geht auch die Futterproduktion und die Waldzerstörung".
Südamerikanische Sorgen
Argentinien setze nach Jahren der politischen und wirtschaftlichen Isolation besonders große Hoffnungen auf den Freihandel mit der Europäischen Union, sagt Barbara Konner, Hauptgeschäftsführerin der Deutsch-Argentinischen Industrie- und Handelskammer. "Argentinien hat enorme Potenziale für europäische Unternehmen, ganz besonders in den Bereichen Infrastruktur, Bergbau, Energie und Tourismus."
Doch auch in Buenos Aires sei man sich der Gefahr bewusst, dass europäische Produkte die einheimischen Waren verdrängen könnten. "Wichtig ist es, dass für bestimmte Produkte Übergangsfristen geregelt werden, um eine stufenweise Umsetzung des Abkommens zu gewährleisten", mahnt Konner. Nur so könne die argentinische Industrie den aktuellen internationalen Wettbewerbsnachteil aufholen.
Für Präsident Mauricio Macri wäre der Abschluss des Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union freilich ein großer außenpolitischer Erfolg. "Von Beginn seiner Amtszeit an hatte Macri die Wiederaufnahme der jahrelang auf Eis liegenden Verhandlungen des EU-Mercosur-Abkommens als prioritäres Thema behandelt", sagt Barbara Konner. Die Regierung sei so ihrem Ziel näher gekommen, "Argentinien als wirtschaftlichem Akteur auf der internationalen Bühne stärker zu positionieren".
Die Furcht der europäischen Verbraucherschützer, dass das südamerikanische Fleisch nicht den EU-Standards genüge, hält sie für unbegründet. "Argentinien ist im Agrarbereich weltweit wettbewerbsfähig und erwartet ein Produktionswachstum von 50 Prozent in den nächsten fünf Jahren", so Konner.
Die Landwirte in der Pampa gehörten bereits heute zu den Pionieren, was die Digitalisierung der Agrarproduktion angehe. "Argentinien hat aber noch viel mehr zu bieten", ist Konner überzeugt. "Das Land setzt neben Agrarprodukten auch auf IT-Dienstleistungen."