Zur Wissenschaft gibt's keine Alternative!
27. Juni 2017"Die Wissenschaft selbst ist kein alternativer Fakt", sagt Nobelpreisträger William Moerner. "Zu wissenschaftlichen Studien gibt es keine Alternative." Moerner ist Chemieprofessor an der Universität Standford in den USA. Im Jahr 2014 gewann er zusammen mit Eric Betzig und Stefan Hell den Chemienobelpreis. Auf dem 67. Lindauer Nobelpreisträgertreffen sprach er beim Pressegespräch der Deutschen Welle zum Thema "Wissenschaft im postfaktischen Zeitalter".
"Wenn man eine Brücke bauen möchte, die nicht zusammenbricht, muss man die Konzepte der Wissenschaft benutzen: Man berechnet, wie viel Beton und Stahl man braucht und wie stark die Brücke werden muss", sagt Moerner. "So ähnlich ist es, wenn man ein Molekül herstellen will, das ein Bakterium töten oder eine Krankheit ausrotten soll: Man muss die Regeln der Wissenschaft benutzen." Und die würden von der Chemie definiert, um das rechte Atom an den rechten Platz zu setzen.
Das sei Präzisionsarbeit. Für vage Schätzungen oder Glaube sei da kein Platz, betont Woerner. "Wenn etwas funktionieren soll, muss man Wissenschaft benutzen. Alternative Fakten, die nicht auf Beweisen basieren, eignen sich nicht."
Das ist eine der schwersten Vorwürfe gegen die derzeitige US-Regierung unter Donald Trump: Dass seine Entscheidungen nicht auf Fakten basieren, sondern auf launigen, unbegründeten Meinungen. Das sei der Grund dafür, dass die Regierung sich öffentlich gegen Impfungen ausspreche und aus internationalen Verträgen wie dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteige.
Aber nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt fürchten die Menschen, dass sie in einem "postfaktischen Zeitalter" leben. Das liegt nicht nur an Politik und Wissenschaft, sondern auch am Rest der Gesellschaft und - wie einige meinen - an den sozialen Medien.
Es heißt, wir lebten in den sozialen Medien in einer Blase von Ideen, in der unsere Vorurteile bestätigt werden. Aber haben wir nicht immer schon in solchen Blasen gelebt? Und hat die Wissenschaft sich nicht von jeher mit Menschen auseinandersetzen müssen, die an andere Dinge glauben? Was also können wir tun, um Meinung mit Wissenschaft zu bekämpfen?
An Fakten glauben
Ein Wissenschaftler beginnt immer mit einer Frage. Er formuliert eine Hypothese, macht Messungen und zieht dann seine Schlussfolgerungen, um Hypothesen zu verwerfen, die mit den wissenschaftlichen Beweisen nicht zusammenpassen. Die Hypothesen, die dazu passen, behält er. Danach publizieren Wissenschaftler für gewöhnlich ihre Ergebnisse. Dann kann die wissenschaftliche Community entscheiden, so Moerner, "ob wir das glauben oder nicht, ob das ein korrekt durchgeführtes Experiment ist oder nicht?" Mit der Zeit werde alles, was falsch ist, verworfen oder ignoriert.
Die Wissenschaft präsentiert sich gerne als sauber und objektiv. Aber auch ihr passieren Fehler. Manchmal sind es Missgeschicke, ein anderes Mal werden vermeintlich schlechte Ergebnisse verschleiert oder ganze Studien absichtlich gefälscht. Wie damals beim Fall des südkoreanischen Gentechnikforschers Hwang Woo Suk. Er hatte behauptet, maßgeschneiderte embryonale Stammzellen erzeugt zu haben. Alles gelogen, wie man im Jahr 2005 herausfand.
Solche Fälle untergraben das öffentliche Vertrauen in Wissenschaftler, wenn nicht gar in die Wissenschaft selbst. Gleichzeitig ist es willkommene Munition für alle diejenigen, die die wissenschaftliche Community als Ganzes diskreditieren wollen. Menschen müssen aber das Gefühl haben, dass sie der Wissenschaft vertrauen können.
Die Dunkelgrauzone
"Letztendlich ist es die Politik, welche über die Wissenschaft herrscht und die Richtung bestimmt, in die die Wissenschaft geht", sagt Il Jeon, Juniorprofessor an der Universität Tokio und einer der jungen Wissenschaftler bei der Lindauer Nobelpreistagung. "Wenn Menschen über alternative Fakten sprechen, klingt es, als ob die Entscheidungsträger da oben der Wissenschaft nicht vertrauen."
Aber auch Wissenschaft sei irgendwie dunkelgrau statt schwarz-weiß, am Ende ginge es doch um Glaube, sagt Jeon. "Von der Mathematik mal abgesehen, stützt sich Wissenschaft immer auf Beobachtungen." Das muss nicht unbedingt ein Problem sein, denn die Wissenschaft "ist ein großer Berg von Beweisen. Niemand kann alles begreifen, man muss auf das System der wissenschaftlichen Community vertrauen. Alles, was nah an der Wahrheit ist, alles was die Menschheit weiterbringt, wird überleben."
Das sei soziale Evolution, sagt Jeon. Ein wichtiger Teil davon ist das Peer-Review-Verfahren: Bevor etwas in wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht wird, bewerten mindestens zwei Gutachter das Werk und urteilen, ob es einer Veröffentlichung wert ist. Alternative Fakten unterlägen demselben Prozess, sagt Jeon. "Wenn alternative Fakten die Prüfung überstehen und sich mit der Zeit bewähren, ist das Weiterentwicklung."
Wissenschaftler werden politisch
Andere Forscher würden gerne eine andere Art von Evolution sehen: dass sich mehr junge Wissenschaftler an der Politik beteiligen. Das wäre gerade ein guter Zeitpunkt, herrscht doch unter den Beratern des US-Präsidenten Trump ein Mangel an solchen, die sich mit Wissenschaft und Technik auskennen. Viele Stellen blieben unbesetzt.
Viele junge Wissenschaftler würden sofort einen Beratungsvertrag unterschreiben. "Ja, klar, wenn ich die Gelegenheit hätte, wäre ich gerne ein Berater des Weißen Hauses", sagt zum Beispiel Dayne Swearer, Forschungsstipendiat der unabhängigen Regierungsbehörde National Science Foundation (NSF) an der Rice-Universität in Texas. "Mein Ratschlag wäre es, den Beweisen zu folgen, unvoreingenommenen Rat anzunehmen und nicht danach zu schielen, woher das Geld kommt. Wir müssen auf die Menschen hören, die ihr Leben der Suche nach Antworten gewidmet haben, egal aus welchem Bereich - Klima, Krebs, was auch immer."
Auch die junge Wissenschaftlerin Fiona Kearns von der Universität Süd-Florida findet, dass sich Wissenschaftler stärker politisch beteiligen müssten. "In den USA haben wir die Tendenz, Wissenschaftler separat von der Regierung zu sehen, dabei wäre es wichtig, dass junge Wissenschaftler überlegen, sich an der Gesetzgebung zu beteiligen und mit der Regierung zu kommunizieren."
Kommunikation allerdings beginnt zu Hause. Mehrere Wissenschaftler, auch Moerner, sagen, sie denken darüber nach, wie sie Freunden und der Familie besser erklären können, was sie eigentlich tun. Und dann vertrauen sie auf die Kraft des Netzwerks und des Schneeballeffekts.