Die Freiheit des Wortes in der Türkei
9. März 2017Es war ein bewegender Moment der Eröffnungsveranstaltung der 17. lit.Cologne, als Asli Erdoğan auf dem Großbildschirm erschien. 132 Tage hatte die türkische Schriftstellerin im Gefängnis gesessen, ehe sie kurz vor Neujahr aus der Untersuchungshaft entlassen worden war. Überraschend konnte sie per Skype zugeschaltet werden und so aus der Ferne an der Gesprächsrunde teilnehmen. Das Bild ist körnig, der Ton undeutlich, Asli Erdoğan wirkt schmal, ihre Stimme klingt weich. Doch was sie sagt, lässt an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig. Wie schon in ihrer Grußbotschaft zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr, die sie damals aus dem Gefängnis schickte, setzt sich die Autorin auch jetzt vehement für die Freiheit des Wortes ein. "Es ist sehr wichtig, zu verstehen, welch wertvolles Gut die Meinungsfreiheit ist. Sie ist das wichtigste Menschenrecht."
Solidarität aus dem Ausland
Der Abend unter dem Titel "Die Freiheit des Wortes ist ein universelles Recht der Menschheit" erinnert an verfolgte Schriftsteller und Schriftstellerinnen in der Türkei, also auch an Asli Erdoğan. Eine seiner Fragen ist, wie man die Bedrohten und Inhaftierten von Deutschland aus unterstützen kann. Schadet es ihr und anderen nicht eher, wenn ihr Schicksal deutlich in die Öffentlichkeit gebracht wird? Woher nimmt die Schriftstellerin den Mut, sich, wenn auch nur virtuell, mit dem exilierten Journalisten Can Dündar und dem seit langem im Kölner Exil lebenden Autor Dogan Akhanli auf ein Podium zu setzen? Erdoğan wartet auf ihren Prozess, es droht ihr lebenslange Haft, sie darf die Türkei nicht verlassen. Wie viel öffentliche Solidarität verträgt ihre Situation?
Für Verfolgte sei jede Stimme, die von außen kommt, wichtig, überlebensnotwendig für all die inhaftierten Journalisten, Studenten, Akademiker, Politiker, Rechtsanwälte und andere. "Im Gefängnis habe ich gelernt, dass Solidarität nicht nur ein Wort ist. Tausende, Zehntausende sitzen hinter Gittern. Sie müssen sich an das Leben klammern können." Ihr eigenes Leben ist auch nach der Haftentlassung noch weit von der Normalität entfernt. In ihrem Arbeitszimmer fühlt sie noch die Ungeister der Polizisten, die es durchwühlten. Schreiben kann sie nicht, sie ist noch traumatisiert, es fehlt die Kraft. Trotzdem glaubt sie an die Macht der Literatur. "Die Türkei macht eine sehr schwere Zeit durch. Ich glaube, dass diese Zeit eine starke Literatur hervorbringen muss, sonst werden wir dieser Enge nicht entkommen."
Kritiker werden zu Terroristen erklärt
Das Gefängnis ist ein Schicksal, das aktuell 160 türkische Journalisten und Schriftsteller teilen. Die Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel hat die Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei verschärft. Can Dündar, früherer Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhurriyet" und Autor von vierzig Büchern, kennt den Ort, an dem sich Yücel aktuell befindet, genau. Auch er selbst hat dort in einer der Zellen gesessen. Wie Deniz Yücel wirft die türkische Regierung auch Can Dündar die Unterstützung einer terroristischen Organisation vor. "Wer Erdogan kritisiert, wird sofort als Terrorist gebrandmarkt. Dann leben in der Türkei allerdings 40 Millionen Terroristen", sagt er. Dündar, der seine Erfahrungen in seinem Buch "Lebenslang für die Wahrheit. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis" auch auf Deutsch zugänglich gemacht hat, gibt sich trotz der tiefen Spaltung der Türkei optimistisch: "Wir sind am Ende einer Ära angekommen." Das türkische Volk werde beim Referendum im April gegen Erdoğans Präsidialsystem und für die Demokratie stimmen.
Streitpunkt: Die Auftritte türkischer Politiker in Deutschland
Bis dahin solle man die Spannungen in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei möglichst deeskalieren und Auftritte türkischer Regierungsvertreter in Deutschland nicht verbieten, meint Dündar. "Ich finde Verbote falsch und kann sie nie verteidigen. Ich möchte Deutschland als ein Land der Freiheit sehen. Wenn Erdoğan zornig ist, wollen wir lachen." Gefragt sei als Regulativ gegen die nationalistischen und autokratischen Tendenzen des türkischen Präsidenten nicht der Staat, sondern das Engagement von Bürgern – durch Demonstrationen für mehr Redefreiheit, nicht weniger. Die deutsche Regierung habe allerdings von Anfang an eine klare Haltung vermissen lassen und der türkischen Propaganda eine Vorlage für eine antideutsche Welle geliefert. Insbesondere Merkel habe schon früh eine falsche Politik betrieben. "Es gibt noch eine andere Türkei, mit der sie Allianzen eingehen müsste: Sie müsste mit türkischen Minderheiten wie Aleviten und Kurden reden, mit Gewerkschaften, Frauenorganisationen oder den Medien."
Dündars Optimismus bleibt nicht unwidersprochen. Auch sein Kölner Kollege Dogan Akhanli kennt die Willkürjustiz aus eigener Erfahrung und hält es für äußerst problematisch, türkischen Politikern in Deutschland ein Wahlkampfforum zu bieten. "Erdogan ist dabei, die Türkei in ein faschistisches Land zu verwandeln." Der deutsche Staat müsse zeigen, "dass er seine faschistischen Tendenzen hier nicht verbreiten" könne. Meinungsfreiheit einzufordern, um sie dann gegen die Meinungsfreiheit zu nutzen, sei intolerabel. Und er untermauert seine Haltung mit einem Zitat Asli Erdoğans: "Kafka ist nur ein Amateur, wenn es um die Türkei geht."