Lobo: "Demütigung für Deutschland"
16. Januar 2014DW: Sie haben kürzlich geäußert, das Internet sei kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung aber nicht. Haben Sie auch eine Vorstellung, wie diese Idee der digitalen Vernetzung in Zukunft besser umgesetzt werden könnte?
Sascha Lobo: Die Frage kann nicht ein Einzelner beantworten, sondern es bedarf eines gesellschaftlichen Diskurses. Die Gesellschaft muss sich einigen, wie sie das Internet heilen, reparieren oder weiterentwickeln möchte - und zwar so, dass es der Gesellschaft besser dient. Dass es im Moment als Spähinstrument gebraucht wird, kann wohl niemand mehr leugnen.
Ist es in erster Linie eine technische Frage, wie man die Kommunikation über das Internet sicherer machen kann?
Das ist auch eine technische Frage, aber nicht nur. Und das ist auch Teil des Problems. Ganz viele Leute, die den einen Bereich überblicken, sehen nicht, was im anderen Bereich ausschlaggebend ist. Man braucht sowohl die technologische Kompetenz, die mit an diesem Diskurs teilnehmen muss, wie auch die gesellschaftliche und politische Kompetenz. Das ist eine sehr komplexe, sehr umfangreiche Aufgabe, aber sie muss in Angriff genommen werden.
Liegt es nicht in der Natur der digitalen Technik, dass sie private Daten all jenen zugänglich macht, die über das nötige Know-how verfügen?
Es liegt auf jeden Fall in der Natur des Internet, dass es Daten prozessiert: kopiert, weiterverarbeitet, neu zusammenführt. Das beschreibt das Internet in seiner Essenz. Aber natürlich braucht man dafür Regeln, wie, wo, was das leisten kann bei der Datenverarbeitung. Diese Regeln neu zu definieren oder überhaupt erstmal nutzbar zu machen, so dass das Ausspähen nicht so sehr begünstigt wird wie bisher, das wäre das Ziel, was ich mit dieser Debatte verfolgen möchte.
Die Bundesregierung hat versucht, mit den USA ein No-Spy-Abkommen abzuschließen. Das scheint jetzt gescheitert zu sein. Wäre ein solches Abkommen für die Menschen in Deutschland ein wirksamer Schutz gegen Datenspionage gewesen?
Das glaube ich nicht. Es wäre ein symbolischer Anfang. Ich habe in meinem Beitrag (für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vom 12.01.2014, Anm. d. Red.) bewusst von einer Kränkung geschrieben. Das sieht man in der Ablehnung des No-Spy-Abkommens durch die USA ganz deutlich. Da ist die deutsche Politik nicht nur gekränkt, sondern richtig gedemütigt worden. Sie hat bei den Amerikanern darum gebettelt, einen Vertrag zu unterschreiben, dass man nicht ausgespäht wird. Das haben die Amerikaner verweigert. Ich habe auch gehört, dass die Amerikaner nicht mal ausschließen wollen, zukünftig Regierungsmitglieder auszuspähen. Das ist eine Kränkung im Maximalbereich. Der Diskurs darüber wird aus einer europäischen Perspektive passieren müssen. Derzeit ist es wohl so, dass die Geheimdienste der USA - und leider auch von Großbritannien - das Internet als ihr Eigentum betrachten. Sie sehen es als ein Instrument, um den Rest der Welt und die eigenen Bürger auszuspähen. Da müssen viel mehr Leute an einem Strang ziehen, um dem Spähinstrument Internet eine positive Wendung zu geben.
Was können Deutschland und Europa selbst tun, um sich vor der NSA-Spionage zu schützen?
Zuerst muss man sehen, dass das kein reines NSA-Programm ist, sondern die Geheimdienste weltweit sehr eng zusammenarbeiten. Das funktioniert auch über Datentausch, so dass man letzten Endes gar nicht mehr sagen kann, wer wen wann wo abhört. Es gibt heute einen klaren Unterschied zur früheren Aufgabe von Geheimdiensten. Früher ging es um Staatsgeheimnisse, inzwischen geht es um normale Bürger. Das ist das Fatale. Die ganze Bevölkerung wird belauscht - mit Argumenten, die mehr als fragwürdig sind. Das Internet ist in der Ebene kaputt, dass es eine ganze Spähmaschinerie weltweit gibt, die darin ein perfektes Instrument für die Überwachung und Kontrolle der Bürger sieht. Die NSA ist da nur die Spitze des Eisberges. Daher muss man den politischen Druck massiv erhöhen. Bisher hat sich Angela Merkel ja eher abwartend geäußert. Sie hat zwar einmal gesagt: 'Das geht gar nicht.' Sie wollte aber noch nicht mal das Freihandelsabkommen als Pfand einsetzen, um eine Wirkung zu erzielen. Das ist zu halbherzig. Man muss mit einer gemeinschaftlichen starken Stimme sprechen.
Hat Europa denn überhaupt ein Interesse daran, dass die Spionage im Netz aufhört? Die eigenen Geheimdienste nutzen ja ähnliche Methoden, nur vielleicht technisch nicht ganz so ausgereift?
Das ist Teil der Problematik. Zu der Überwachungsmaschinerie, die das Internet gekapert hat, gehören ja auch nicht nur Geheimdienste, sondern auch Behörden - auch in Deutschland und Europa. In den letzen Jahren waren die Bemühungen der Politik sehr greifbar, die Überwachung weiter auszudehnen. Die "Vorratsdatenspeicherung" wäre da ein wichtiges Stichwort in Deutschland. Insofern ist nicht die Politik das Opfer von wildgewordenen Geheimdiensten, sondern Teile der Politik sind natürlich dafür, dass das Netz als Spähinstrument benutzt wird.
In den USA hat ein Bezirksgericht die Regeln zur Netzneutralität aufgehoben. Wie wichtig ist die Netzneutralität für ein demokratisches Internet?
Die Netzneutralität ist für die meisten Menschen etwas sehr abstraktes. Es ist aber in meinen Augen nach dem Spähskandal das wichtigste Thema. Es betrifft die Basisstruktur des Internet. Die Netzneutralität besagt, dass es eine Gleichbehandlung von Daten über die Leitungen geben soll. Wenn man das außer Kraft setzt, dann geht das Internet mehr in Richtung Telefon oder Fernsehnetz. Das bedeutet, dass die Kontrolle darüber, wer was wann wo sehen, hören oder lesen kann, sehr stark zentralisiert wird in Richtung der Anbieter. Das widerstrebt nicht nur der Grundidee der Vernetzung, sondern es öffnet auch Tür und Tor für einzelne Punkte, wo man die gesamte Vernetzung kontrollieren könnte. Die Aufgabe der Netzneutralität wäre fatal.
Sascha Lobo ist Autor, Blogger und Strategieberater mit den Schwerpunkten Internet und Markenkommunikation. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Internet auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur. 2007 wurde er in den Online-Beirat der SPD berufen.
Das Gespräch führte Marcus Lütticke.