Lokale Energiewende ist globales Vorbild
10. November 2015Deutsche Welle: Herr Dannemann, derzeit treffen sich mehre Bürgermeister und Energieexperten aus den deutschen Kommunen aber auch aus dem Ausland zum Kongress 100-Prozent Erneuerbare-Energien-Regionen in Kassel. Sie beobachten und begleiten die Kommunen bei der Energiewende. Wie ist die Entwicklung?
Vorreiter sind vor allem kleine Kommunen auf dem Land. Das hat mehrere Gründe: Für die Energiewende werden viele Wind-, Solar und Biogasanlagen gebraucht. Die Kommunen auf dem Land haben viel Fläche, sehen in den Erneuerbaren Energien viele Vorteile und treiben so die Energiewende voran. Durch die gesetzlich geregelte Vergütung für Strom aus erneuerbaren Energien wurden viele Investitionen möglich und rentabel. Inzwischen ist Strom aus Erneuerbaren aber auch günstigster als aus dem Netz, diese Energie wird so vorzugsweise auch selbst verbraucht.
Wer konkret treibt den Energieumbau voran?
Oft sind es Privatpersonen, mittelständische und kommunale Unternehmen sowie Energiegenossenschaften in den Gemeinden oder Stadtteilen. Sie beginnen mit der Energieerzeugung vor Ort, bringen Solaranlagen auf Schulen, Rathäusern und Mietshäusern an und errichten Windkraftanlagen. Diese Bewegung des Energieumbaus ist sehr verbreitet in kleinen Kommunen, schon sehr stark in den mittelgroßen Städten und kommt jetzt langsam in die größeren Städte. Viele kleine Kommunen produzieren so in der Gesamtbilanz jetzt schon mehr Energie als sie selbst verbrauchen. Diese Entwicklung ging schnell.
Was sind die Motive?
Einerseits möchte man etwas für den Klimaschutz tun. Mit den Erneuerbaren Energien entsteht aber auch eine ganz neue Perspektive für die Wirtschaft. Für die strukturschwachen ländlichen Kommunen ist das ein sehr wichtiges Motiv. Landwirte und Handwerker bekommen ein zusätzliches Standbein und Kommunalpolitiker können so aktiv lokale Wirtschaftsförderung betreiben. Diese kommunale Wertschöpfung spielt eine große Rolle.
Wie groß ist diese Wertschöpfung?
Im Jahr 2014 lag die Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien in Deutschland bei fast 19 Milliarden Euro. Damit verbunden ist mehr Beschäftigung vor Ort. Und das Geld, das vorher für fossile Brennstoffe wie Gas und Erdöl ausgegeben wurde, das bleibt so in der Region im lokalen Wirtschaftskreislauf.
Welche Möglichkeit hat die kommunale Politik?
Wichtig ist die gemeinsame Gestaltung. Bürger und Politiker entwickeln zum Beispiel ein gemeinsames Konzept für die Energieversorgung. Dann können auf Schul- und Rathausdächern Solaranlagen installiert werden und Erneuerbare Energien die Wärmeversorgung in den kommunalen Gebäuden übernehmen. Viele Kommunen versorgen ihre Bürger zudem mit Strom und Wärme. Und diese Energie kann mit heimischer Erneuerbarer Energie erzeugt werden. Ein weiterer Punkt ist die Planung. Kommunen entscheiden über die Nutzung der Flächen und können sich aktiv für den Ausbau Erneuerbarer Energien einsetzen.
Jeden Monat wird in Deutschland eine Kommune für den erfolgreichen Energieumbau ausgezeichnet. Warum?
Es ist eine Anerkennung für die vorbildliche Leistung. Dieser dezentrale Klimaschutz ist in der Summe sehr wichtig für den nationalen Klimaschutz. Und dann sind diese Energiekommunen auch Vorbild für andere. Bürgermeister aus anderen Gemeinden besuchen diese Kommunen und nehmen die Erfahrung als Anregung mit.
Viel Besuch kommt auch aus dem Ausland. Aus dem gleichen Grund?
Diese Kommunen haben eine Vorbildfunktion in der Welt. Und so kommen Bürgermeister aus Asien, China, Südamerika, Afrika, den USA und auch anderen europäischen Ländern. Sie wollen ebenfalls von den Erfahrungen lernen.
Derzeit treffen sich Bürgermeister und kommunale Energieexperten zum Kongress 100 Prozent Erneuerbare-Energie-Region. Auch einige dutzend Kommunalpolitiker aus dem Ausland sind dabei. Worum geht es?
Es ist vor allem ein Erfahrungsaustausch. Neue technologische Entwicklungen und gesetzliche Änderungen werden vorgestellt. Zudem sind Wissenschaftler da, die den Energieumbau in den Kommunen begleiten und unterstützen. Unter den internationalen Gästen ist beispielsweise auch der Bürgermeister von Fukushima, der sich hier in Deutschland über die Handlungsmöglichkeiten seiner deutschen Kollegen informieren möchte.
Wohin geht die Entwicklung in den nächsten Jahren?
Viele Kommunen erzeugen heute mehr erneuerbaren Strom als sie selbst verbrauchen und kleine Kommunen decken auch schon die Wärmeversorgung zu 100 Prozent mit Erneuerbare Energien ab. Ein ganz wichtiger Schritt ist noch der Verkehrssektor: Auch hier gibt es das Bestreben, Fahrzeuge mit Erneuerbaren Energien zu bewegen. Ich denke, im Jahr 2030 werden viele Kommunen auch hier die 100-Prozent-Versorgung komplett geschafft haben.
Welche Rolle spielt die Klimakonferenz in Paris für die Kommunen?
Internationale Zielvorgaben sind auch für Kommunen sehr wichtig, denn sie zeigen, dass der Klimaschutz ein gemeinsames Projekt aller Menschen ist. Gerade den vielen engagierten Kommunalpolitikern und Bürgern helfen diese großen Vereinbarungen und entkräften die Stimmen, die sich über die Wirkungslosigkeit lokaler Maßnahmen auslassen. Falls es zu keiner Einigung kommt, ist dies leider ein ebenso schlechtes Zeichen an die dezentrale Energiewende.
Benjamin Dannemann ist Energieexperte bei der Agentur für Erneuerbare Energie (AEE). Die Agentur für Erneuerbaren Energien begleitet Kommunen beim Energieumbau und zeichnet monatlich Vorreiter-Kommunen aus. Unterstützer der AEE sind Unternehmen und Verbände der Erneuerbaren Energien und die Bundesregierung.
Das Interview führte Gero Rueter