Tate Modern würdigt deutschen Fotokünstler Wolfgang Tillmans
15. Februar 2017"Tillmans does not take pictures - he makes pictures." Die treffendste Erklärung von Tillmans Fotografie lieferte Co-Kurator Chris Dercon, der scheidende Direktor der Tate Modern und designierte Intendant der Berliner Volksbühne. Tatsächlich überlässt der Künstler nichts dem Zufall - kein Bild, keinen Katalog, erst recht keine Ausstellung. Bei Tillmans wirkt alles durchdacht und akribisch arrangiert. Zumeist verknüpft er Politik und Poesie. "Für uns ist Wolfgang einer der aufregendsten, interessantesten und wichtigsten Künstler der Gegenwart", so die neue Tate-Direktorin Frances Morris.
Nicht weniger als 14 Räume bespielt Tillmans, im Jahr 2000 der erste deutsche Turner-Preisträger und Ehrenmitglied der renommierten Royal Academy. Die Tate zeigt Arbeiten von 2003 bis heute. Zu besichtigen ist Tillmans Umstieg von der Analog- zur Digitalfotografie. Abstrakte Arbeiten wechseln sich ab mit vielsagenden Porträts, poetischen Stillleben oder Reisefotografie. Zu erleben sind selbst Video- und Musikprojekte.
Breites künstlerisches Spektrum
Vom Bild eines nackten, in Embryohaltung kauernden Mannes bis zu wandfüllenden Meeres- und Himmelspanoramen spannt die Schau ihren Bilderbogen. Einmal fällt der Blick auf ein Straßenpflaster, das von Moos überwuchert wird und aus dessen Ritzen grüne Pflänzchen sprießen. Auf einem anderen Bild verknäueln sich weiße Leintücher auf schwarzem Boden zu wilden Wolkenformationen. Abstrakt und sehr malerisch wirken nicht zuletzt Tillmans Farb- und Formenexperimente, die in seinem Londoner Atelier entstanden.
Aus welchem geistigen Fundus Tillmans schöpft, zeigt ein Ausstellungsraum, dessen Vitrinen übersät sind mit Zeitungsausschnitten, Studien und Meldungen.
"Der Renaissance-Mann des 21. Jahrhunderts"
Globale Warenströme, die Produktionsbedingungen bei der Herstellung von IKEA-Küchen etwa oder die Folterverbrechen amerikanischer Soldaten im Irak - die Quellensammlung zeigt, worüber der Künstler nachdenkt, bevor er der Welt einen Spiegel vorhält. Seit 20 Jahren lebt der in Remscheid geborene Tillmans in London. Zuletzt engagierte er sich gegen den EU-Austritt Großbritanniens. Seine Plakate und Anti-Brexit-Aufrufe zeigt die Londoner Schau ebenfalls.
So zeichnet die Tate Modern das facettenreiche Bild eines gesellschaftlich engagierten Künstlers. Der macht sich zwar sein Bild von der Welt. Aber mit der Kraft seiner Poesie meldet er sich zu Wort und greift in Debatten ein. "Tillmans geht es bei seinem Engagement um Ethik, nicht um Technologie", so Museumsmann Dercon. "Er ist der Renaissance-Mann des 21. Jahrhunderts."