"Regierung rettet Koalition statt Weltklima"
18. November 2019Trotz anhaltendem Protest aus Gesellschaft und Wissenschaft hat die deutsche Regierung ihr Klimapaket im Eiltempo auf den Weg gebracht. Der Bundestag beschloss am 15.11. mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen die wesentlichen Teile des sogenannten Klimaschutzpakets. Damit aber werde Deutschland die Pariser Klimaziele nicht erreichen, betont auch Luisa Neubauer von Fridays for Future. Schüler, Studenten und auch viele ältere Bürger mobilisieren nun für eine neue Großdemonstration Ende November.
DW: Frau Neubauer, in Deutschland gingen allein am 20. September rund 1,4 Millionen Menschen für die Einhaltung des Pariser Klimaziels auf die Straßen. Warum ist die Bewegung hier so groß?
Luisa Neubauer: In Deutschland gibt es eine Generation, die relativ sensibel für Umwelt- und Klimafragen ist. Die Klimabildung war über Jahre erfolgreich, und wir haben eine virulente Protestkultur. Es gibt aber auch viele Gründe, in Deutschland zu protestieren, und wir haben viele Adressaten für den Protest.
Das sogenannte Klimapaket der Bundesregierung ist nach Einschätzung aller Experten ungenügend für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. Warum hält die Regierung ihrer Meinung nach daran fest?
Die Regierung schreckt vor spürbaren Maßnahmen zurück und möchte lieber das Koalitionsklima retten als das Weltklima. Der Klimaschutz wird regelrecht verhindert. Die beiden Koalitionsparteien wagen nur den Minimalkonsens. Und dieser Konsens heißt, dass man das Pariser Klimaabkommen nicht einhält.
Wahrscheinlich ist der Regierung nicht bewusst, was auf dem Spiel steht und was die eigentliche Verantwortung ist. Das vorzeitige Ende der Koalition ist nichts im Vergleich zu dem, was uns durch die Klimaveränderungen droht.
Wie wollen Sie in den nächsten Monaten reagieren?
Wir werden größer werden und weiter streiken. Wir werden persönlicher werden. Wir sehen ein Verantwortungsvakuum und das müssen wir zum Platzen bringen. Wir müssen Menschen ganz persönlich auffordern, in ihren Ämtern der Verantwortung gerecht zu werden. Für mich ist es kein Zufall, dass die Klimakrise so weit fortgeschritten ist. Dahinter stehen ganz bewusste und mutwillige Entscheidung von einzelnen Personen. Wir müssen aufzeigen, woran und an wem es gerade scheitert.
Einen Teil der Regierung erreichen wir offenkundig nicht und deshalb werden wir andere Register ziehen. Wir arbeiten auf europäischer Ebene, im Kontext der UN-Klimakonferenz und dort erleben wir eine vielversprechendere Resonanz als durch die Bundesregierung. Zudem richten wir unseren Fokus auf Städte und Bundesländer.
Wo sehen Sie Chancen für Veränderungen?
Wichtig sind sehr kluge Strategien, sich auf einzelne Entscheidungen zu konzentrieren und damit große Veränderungen zu bewirken. Dazu gehört, dass wir uns zusammentun mit Akteuren, die bisher weniger aktiv waren. Das sind Akteure in der Wirtschaft, Gewerkschaft, im Sport, in gesellschaftlichen Institutionen, der Wissenschaft, in Bildungseinrichtungen und den Kirchen. Wir bemühen uns weiterhin, mit offenen Armen Allianzen zu schmieden.
Wir erleben insgesamt eine große Bereitschaft auf ganz vielen Ebenen sich einzubringen, die Stimme zu erheben. Viele wenden sich auch an uns und wollen Veränderung.
Greta Thunberg gab den Anstoß für diese Bewegung im vergangenen Jahr. Für ihren Einsatz bekommt sie jetzt den alternativen Nobelpreis. Wie würden Sie die Entwicklung dieser jungen Bewegung beschreiben?
Die Vergangenheit war von etwas geprägt, dass ich als explorativen Charakter sehe. Nie zuvor hat jemand auf der Welt eine Bewegung mitorganisiert wie unsere. Das befeuert und bestärkt. Das war diese Einzigartigkeit und die hat etwas Magisches an sich. Mittlerweile hat sich aus dieser Euphorie auch ein strategisches Bewusstsein entwickelt.
Denn trotz des Protests von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt kann es politische Rückschläge oder Stagnation geben. Wir müssen uns messen an den Strategien der fossilen Industrien in der Welt, an der Kohle-, Öl- und Gas-Lobby. Das sind die einzigen Profiteure in der Klimakrise und das seit 100 Jahren.
Hätten Sie sich diese Entwicklung vorstellen können, als Sie mit den Demonstrationen begannen?
Ich hätte niemals gedacht, dass wir ein ganzes Jahr streiken. Es ist, als würden wir jeden Monat einen Himalaja besteigen und dann feststellen, dass wir erst auf dem ersten Vorsprung sind. Es ist ernüchternd, welche Mühen wir aufbringen müssen für die Einhaltung eines schon verhandelten Regierungsabkommens, dass das Pariser Klimaziel nicht verpasst wird.
Laut Weltklimarat und UN ist es noch möglich, die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen - allerdings nur mit enormen Anstrengungen und wenn schnell gehandelt wird. Die Zeit für die Einhaltung dieses Ziels ist knapp. Wie wollen Sie damit umgehen?
Wir müssen alle Wege gehen, die uns offen stehen, und natürlich müssen diese Wege menschenrechtskonform sein. Wir stellen fest, dass wir in einer multiplen Krise sind und da müssen wir auch multiple Wege gehen, um diese Krise zu überwinden. Das heißt: Veränderungen sind nicht eindimensional und erfolgen nicht durch den Bundestag. Veränderungen passieren überall dort, wo Menschen zusammenkommen und bereit sind für Veränderung zu kämpfen.
So können sich zum Beispiel Unternehmen umstrukturieren, Städte können neue CO2- Ziele verabschieden, Wirtschaftszweige sich zusammentun und gemeinsame neue Standards entwickeln. Wir brauchen das soziale Zusammenwirken der Gemeinschaften.
Wissenschaftler haben seit Jahrzehnten vor der Erderhitzung gewarnt. Die Gesellschaft hat aber nicht entsprechend reagiert. Welchen Appell haben Sie an Ihre älteren Mitbürger?
Wir müssen uns als Gesellschaft wahrnehmen und verstehen. Ältere Menschen tragen deutlich mehr Verantwortung als die Jungen. Für die Jungen heißt das, sich an die Menschen zu wenden, die Verantwortung haben und die die Entscheidungen treffen.
Für die Älteren heißt das, sich selbst als Teil der Lösung zu verstehen. Solange sie nicht ein aktiver und bewusster Teil der Lösung werden, sind sie unweigerlich ein Teil des Problems.
Wie optimistisch sind Sie, dass die Erderhitzung nicht über 1,5 Grad steigen wird?
Ich bin nicht optimistisch - ich bin "possibilistisch": Ich sehe, dass das noch möglich ist. Jetzt müssen wir das Mögliche wirklich auch möglich machen.
Luisa Neubauer (Jahrgang 1996) engagiert sich von Anfang an bei Fridays for Future in Deutschland. Sie kämpft an der Seite von Greta Thunberg, sprach mit Emmanuel Macron, Barak Obama, auf der Aktionärsversammlung des Kohlekonzerns RWE, und ist in Deutschland durch Auftritte in den Medien bekannt geworden. Im Oktober erschien ihr Buch "Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft". In dem Buch analysiert die Geographiestudentin die Klimakrise, gibt einen Einblick in die junge Bewegung und entwirft Strategien.
Das Interview führte Gero Rueter.