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Löfflers Lektüren

3. Mai 2010

"Sogar Papageien überleben uns", das Roman-Debut der in Leningrad aufgewachsenen Olga Martynova, ist ein anmutiges und geistreiches Kaleidoskop, verfasst in einem frischen stereotypenfreien Deutsch.

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Buchcover Olga Martynova: Sogar Papageien überleben uns (Literaturverlag Droschl)

Olga Martynova, Jahrgang 1962, wuchs in Leningrad auf, studierte russische Literatur, zog 1991 nach Deutschland und lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Oleg Jurjew, in Frankfurt am Main. Sie schreibt Gedichte (auf Russisch) und Essays und Prosa (auf Deutsch). "Sogar Papageien überleben uns" ist ihr erster Roman, auf Deutsch geschrieben.

"Sogar Papageien überleben uns" ist eine transnationale Liebesgeschichte zwischen einer Russin und einem Deutschen, außerdem ein Road Movie, eine studentische Abenteuerfahrt in den Wilden Osten des asiatischen Russland, vor allem aber eine literarische Beschwörung des verschwundenen Sankt Petersburg mit seiner untergegangenen traditionellen Kultur und Lebensart sowie eine Hommage an seine Künstler und Dichter von Puschkin und Gogol bis Mandelstam und Brodskij.

Die Welt ist absurd

Die Autorin Olga Martynova (Foto: Literaturverlag Droschl)
Olga MartynovaBild: Literaturverlag Droschl

Gehuldigt wird allen voran Daniil Charms und seinem Freundeskreis der «Oberiuten» als der letzten russischen Avantgarde. In seiner Mischung aus Dadaismus, Futurismus und vorweggenommenem Surrealismus erhob der Charms-Kreis den anarchischen Widersinn, den Unsinn, zum Erkenntnismittel im Chaos des 20. Jahrhunderts – nicht die Oberiuten sind absurd, sondern die Welt, in der sie leben. Dieses Lebensgefühl grundiert Martynovas Roman bis in die Gegenwartsebene hinein, den Freundeskreis der Heldin und Ich-Erzählerin Marina, einer Underground-Bohème aus schrägen Dichtern und Künstlern.

Der Roman spielt mit den Ungleichzeitigkeiten, Epochen-Verschleppungen, Zeitverschiebungen, Zeitfalten und Zeitschleifen. Er behandelt die Gegenwart als Zeitspeicher, in dem alle Vergangenheiten (von der Zarenzeit über die Sowjetzeit bis zur Gegenwart des 21. Jahrhunderts) zur Verfügung stehen und jederzeit nach Belieben hervorgeholt werden können. Dieses Verfahren wird vor jedem Kapitelanfang optisch kenntlich gemacht. Auf einer Zeitachse mit markanten Jahresdaten, die für die Romanhandlung bedeutsam sind, erscheinen zur Orientierung jeweils jene Jahre gefettet, in denen das folgende Kapitel spielt. Das ständige Hin- und Herspringen zwischen den Zeiten ist einer der Reize dieses Romans. Vor dem Zerfallen und Zersplittern in einzelne Episoden bewahrt ihn die Ich-Erzählerin, die alle Erzählfäden zusammenhält.

Experten für Mehrzeitigkeit

Das Roman-Personal besteht aus lauter Experten für Zeitsprünge. Es sind Dichter, Literaturwissenschaftler und übrig gebliebene Adelige aus einer anderen Zeit: Sie alle sind Spezialisten für Mehrzeitigkeit und bewegen sich elegant durch Epochen und Kulturen. Auch die Liebesgeschichte zwischen der Germanistin Marina und dem einstigen deutschen Gaststudenten Andreas ist in einer Zeitfalte stecken geblieben: Lässt sich die große Liebe von 1986 zwanzig Jahre später noch realisieren?

Olga Martynovas Erstling ist ein anmutiges, geistreiches, elegantes Roman-Kaleidoskop und eine Huldigung an den Wandel der Zeiten, der nur in der Erinnerung festgehalten werden kann.

Autorin: Sigrid Löffler
Redaktion: Gabriela Schaaf

Olga Martynova: "Sogar Papageien überleben uns", Roman

Literaturverlag Droschl, Graz 2010. 204 S., € 19,-