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Macht Russland den Weg für Atomtests frei?

17. Oktober 2023

Diese Woche werden russische Parlamentarier wohl die Ratifizierung des globalen Vertrags über den Stopp von Nukleartests (CTBT) zurückziehen. Das Kalkül dahinter dürfte nicht aufgehen, glauben Experten.

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Interkontinentalraketen auf einer Militärparade in Moskau
Interkontinentalraketen auf einer Militärparade in MoskauBild: Alexander Zemlianichenko/AP Photo/picture alliance

Ein Atomtest über Sibirien wäre "ein nukleares Ultimatum" an den Westen. Die Konsequenzen für die eigene Bevölkerung dagegen wären nicht schlimm. Das war im Großen und Ganzen die Aussage der Chefredakteurin des russischen Auslandssenders RT, Margarita Simonjan, als sie Anfang Oktober in einem Video erklärte, dass "nichts so Schreckliches" passieren würde, wenn man eine thermonukleare Explosion im eigenen Land durchführen würde. Westliche Länder würden sonst so lange nicht nachgeben, "bis sie große Schmerzen haben." In Simonjans Welt hat der Westen nichts Besseres zu tun, als Russland ständig durch die Hände der Ukraine "erwürgen" zu wollen.

Die RT-Chefin ist eines der bekanntesten Gesichter der russischen Propaganda. Sie tritt oft in der abendlichen Diskussionsrunde ihres TV-Kollegen Wladimir Solowjew auf und ist bekannt für ihre hasserfüllten Tiraden gegen die Ukraine und den Westen, allen voran die USA. Aber der bizarre Vorschlag einer Atomexplosion auf dem russischen Staatsgebiet war dann doch wohl zu viel: Er verstörte nicht nur die Zuschauer, sondern sorgte auch für Ärger im Kreml. Von Putins Sprecher Dmitri Peskow hieß es, Simonjans Worte "spiegeln nicht immer die offizielle Position wider". Er glaube nicht, dass derlei Diskussionen sinnvoll seien.

RT-Chefin Margarita Simonjan
RT-Chefin Margarita SimonjanBild: ITAR-TASS/IMAGO IMAGES

Doch in dieser Woche werden solche Diskussionen wieder geführt und zumindest die russischen Abgeordneten dürften sich an Simonjans Worte erinnern: Die Duma, das russische Parlament, wird höchstwahrscheinlich für den Ausstieg aus dem Umfassenden Atomteststopp-Vertrag (CTBT) stimmen. Die Idee kam unlängst von Präsident Wladimir Putin persönlich und wurde vom Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin aufgegriffen.

"Endlich Gleichgewicht schaffen"

Das Dokument ist einer der letzten internationalen Rüstungsverträge, die Russland für verpflichtend hält. Moskaus Begründung für den zu diskutierenden Ausstieg ist, dass die USA den Vertrag ohnehin nie ratifiziert hätten. Jetzt also sei es an der Zeit, die Ratifizierung zurückzuziehen, um endlich ein Gleichgewicht zu schaffen. Beide Staaten besitzen übrigens rund neunzig Prozent aller Atomsprengköpfe dieser Welt.

Der Vertrag über ein umfassendes Verbot von Nuklearversuchen wurde 1996 neben Russland und den USA auch von China unterschrieben. Doch anders als die Amerikaner und die Chinesen haben ihn die Russen 2000 tatsächlich auch noch durch das Nationalparlament ratifiziert. Darauf weist Atomexperte Pavel Podvig vom Institut der Vereinten Nationen für Abrüstungsforschung im Gespräch mit der Deutschen Welle hin. Podvig erklärt, dass der Vertrag offiziell niemals in Kraft getreten sei. Trotzdem würden sich die fünf großen Atommächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien seit den 1990er Jahren an das Moratorium für Atomtests halten.

Abgeordnete bei einer Plenarsitzung der Staatsduma
Abgeordnete bei einer Plenarsitzung der StaatsdumaBild: Sergei Fadeichev/dpa/TASS/picture alliance

Auch Indien und Pakistan würden nach ihren Tests 1998 keine weiteren mehr anstreben: "Der einzige, wenn man so will, Dissident in dieser Hinsicht ist Nordkorea, das bereits sechs Atomtests durchgeführt hat."

Podvig unterstreicht, dass der besagte Rüstungsvertrag ein hohes Ansehen in der Welt habe: "Niemand wird Freunde gewinnen, wenn er neue Atomtests durchführt. Alle Ideen, die in Russland gerade diskutiert werden - nach dem Motto: Lass uns alle erschrecken!" - dürften nicht wirklich jemanden erschrecken. Die Verurteilung aber wird eindeutig sein."

Politisches Signal

Der Ausstieg aus dem Vertrag würde aber ein politisches Signal senden und zumindest rein juristisch für die Russen ein Grund weniger sein, sich an das selbstauferlegte Moratorium zu halten, so der Experte.

Den russischen Nuklearexperten Maxim Starchak vom Kanadischen Institut für außenpolitische Forschungen würde es nicht wundern, wenn Russland tatsächlich bald Atomtests durchführen sollte. Gegenüber der DW versichert er dennoch: "Es gibt bisher aber keine klaren Hinweise, dass Russland in naher Zukunft solche Tests vorhat." Es gäbe unter den Nuklearphysikern übrigens keine eindeutige Meinung über den Sinn solcher Tests: "Manche sind dafür, manche sind dagegen. Deren Wiederbelebung wird auf jeden Fall eine politische Entscheidung brauchen."

Französischer Atomtest im Bikini-Atoll im Jahr 1954
Französischer Atomtest im Bikini-Atoll im Jahr 1954Bild: Heritage Images/IMAGO IMAGES

Laut Starchak hat Russland ein dafür bereits vorbereitetes Territorium auf der Doppelinsel Nowaja Zemlja: "Dort gibt es, soweit bekannt ist, drei Plätze, wo man unterirdische Atomtests durchführen kann. Ich denke, dass wenn tatsächlich von Atomtests die Rede wäre, dann ginge es um eben diese Plätze. Denn ich denke kaum, dass dieser Wahnsinn durch eine Bodenexplosion realisiert wird."

Weiterer Eskalationsschritt

Russlands geplanten Ausstieg sollte man ernst nehmen. Darüber sind sich beide Experten einig. Laut Pavel Podvigwürde die Explosion einer Atombombe keinen militärischen Zweck erfüllen, weil ihr einziger Zweck wäre, möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit zu töten. Und genau das müsste man im Kopf behalten. Russland würde damit ein Signal senden, es sei bereit "sehr viele Menschen zu töten: Zehn- und Hunderttausende, Millionen."

Maxim Starchak ist überzeugt, dass Russlands Vorhaben ein weiterer Schritt in der Eskalation im Krieg gegen die Ukraine sei. Moskau hoffe, dass die USA in dieser Eskalationsspirale eine echte Gefahr für sich erkennen und diese Gefahr reduzieren wollen, indem sie auf Russland eingehen und Zugeständnisse im Ukraine-Krieg machen.

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Juri Rescheto Studioleiter Riga