Macron kritisiert Aussagen Kramp-Karrenbauers
16. November 2020In ungewöhnlich deutlicher Form hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kritisiert, weil sie die Idee einer strategischen Eigenständigkeit Europas skeptisch beurteilt. Er teile die Einschätzung der Ministerin "ganz und gar nicht", sagte Macron dem Online-Magazin "Le Grand Continent". Der französische Präsident nannte die Einschätzung der CDU-Politikerin eine "Fehlinterpretation der Geschichte".
In einem Gastbeitrag für das Magazin "Politico" hatte Kramp-Karrenbauer unter dem Titel "Europe still needs America" (Etwa: "Europa braucht Amerika immer noch") Anfang November, also kurz vor der US-Präsidentenwahl, geschrieben: "Die Illusion einer europäischen strategischen Autonomie muss ein Ende haben: Die Europäer können die entscheidende Rolle der USA als Garant für Sicherheit nicht ersetzen."
Europa muss eigenständiger werden
Macron widersprach dieser Einschätzung. "Glücklicherweise ist die deutsche Kanzlerin nicht auf dieser Linie, wenn ich es richtig verstanden habe", sagte der Staatschef. Macron forderte in dem Interview, Europa müsse eigenständiger werden. Die USA würden die Europäer nur als Verbündete akzeptieren, "wenn wir uns selber ernst nehmen, und wenn wir in unserer eigenen Verteidigung souverän sind". Der Europafreund fordert seit langem eine "europäische Armee".
Der 42-Jährige sprach in dem Interview für "Grand Continent" lediglich von der "deutschen Verteidigungsministerin" und nannte Kramp-Karrenbauer nicht beim Namen. Der Präsident ging auch nicht im Detail auf ihre Äußerungen in Politico ein. Aus seinem Umfeld wurde auf Anfrage aber bestätigt, dass sich seine Kritik explizit auf den "Politico"-Beitrag vom Monatsbeginn bezieht.
Die Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Europapolitik, Franziska Brantner, nannte Macrons Kritik an Kramp-Karrenbauer völlig berechtigt. "Wir dürfen uns nicht von vornherein jede Souveränität absprechen, sondern müssen aktiv an ihr arbeiten. Genau das fordern auch die USA von uns", sagte Brantner. Die Bundesregierung solle mit Frankreich Motor für eine europäische Entwicklung sein, anstatt weiter zu bremsen.
Macron will "neuen Multilateralismus"
Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um ein politisches Europa zu stärken und zu strukturieren, das im Herzen eines "neuen Multilateralismus" stehen könnte, hatte Macron hinzugefügt. Ein starkes Europa "ist der einzige Weg, um unsere Werte durchzusetzen" sowie ein Duopol aus China und den USA und die "Rückkehr verfeindeter regionaler Mächte" zu verhindern. Zugleich unterstrich der Präsident, dass der UN-Sicherheitsrat keine nützlichen Lösungen für globale Probleme liefere. Multilaterale Bezugssysteme "sind heute geschwächt, weil sie blockiert werden". In diesem Zusammenhang forderte er eine Instandsetzung der internationalen Mechanismen der Zusammenarbeit.
Mit Blick auf den Wahlsieg von Joe Biden in den USA betonte Macron, er wolle um Verständnis dafür werben, "dass wir den Aufbau unserer eigenen Autonomie fortsetzen müssen". Am Montag wird US-Außenminister Mike Pompeo in Paris zu einem Gespräch mit Macron erwartet. Das Treffen erfolge auf Wunsch Pompeos und "in völliger Transparenz mit dem Team des gewählten US-Präsidenten Joe Biden", betonte Macrons Büro. Pompeo weigert sich bisher, die Niederlage von Amtsinhaber Donald Trump bei der Wahl vom 3. November anzuerkennen. Trump spricht ohne Belege von Wahlbetrug.
kle/rb (afp, dpa, rtr)