Macron und May bereiten Syrien-Einsatz vor
12. April 2018"Wir haben Beweise, dass in der vergangenen Woche Chemiewaffen durch das Regime von Baschar al-Assad eingesetzt wurden", erklärt der französische Präsident in einem TV-Interview, das sich in der Hauptsache um die Streiks in Frankreich und seine Reformen dreht. Emmanuel Macron macht dabei in wenigen Sätzen seine Haltung zur Situation in Syrien klar: "Wir werden darüber [über einen französischen Militäreinsatz] zu gegebener Zeit entscheiden."
Kampf gegen Terrorismus und für internationales Recht
Macron ruft seinen Bürgern in Erinnerung, dass sich Frankreich wegen der Terroranschläge auf französischem Boden in Syrien engagiert habe. Man wolle sowohl den IS-Terror bis zum Ende bekämpfen, als auch sicherstellen, dass internationales Recht eingehalten werde. "Die Welt ist chaotisch und es gibt inakzeptable Zustände", fügt Macron hinzu. Er habe mehrfach mit dem russischen Präsidenten Putin telefoniert. Frankreich wolle auf jeden Fall eine Eskalation in der Region verhindern, aber man dürfe gewissen Regimen nicht alles durchgehen lassen.
Eine Mehrheit der Franzosen unterstützt den expansiven außenpolitischen Kurs des französischen Präsidenten, der seit seinem Amtsantritt sein Land auf die weltpolitische Bühne zurückgebracht hat. Macron hat in den vergangenen Tagen mit US-Präsident Donald Trump telefoniert, und ihm seine Unterstützung in Syrien zugesagt. Frankreich sei im Prinzip bereit, die rote Linie sei durch den erneuten Giftgaseinsatz überschritten, hatte auch Sicherheitsexperte Francois Heisbourg vom Council for Strategic Studies bestätigt.
Allerdings scheint der französische Präsident - wie der Rest der Welt - jetzt auf ein definitives Signal aus Washington zu warten. Die Tweets von Donald Trump, wenn auch offensiv mit dem Hinweis auf die "schönen Raketen" der USA, lassen keine klare Linie und keinen Zeitplan erkennen. Ein Angriff "könnte sehr bald oder überhaupt nicht so bald" erfolgen. Kommt es aber zum Einsatzbefehl, könnte Frankreich von Jordanien und Abu Dhabi aus bis zu 50 "Cruise Missiles" in Gang setzen.
Frankreich als Führungsmacht Europas?
Frankreich will im Nahen Osten eine wichtige Rolle spielen, erklärt der Außenpolitik-Experte Manuel Lafont Rapnouil vom European Council on Foreign Relations (ECFR). Der Anspruch sei historisch bedingt, und die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass sich die Europäer weder auf die USA mit ihrer Selbstbezogenheit noch auf die Zusammenarbeit mit einem immer selbstbewussteren Russland verlassen könnten. Deswegen müssten sie zunehmend für ihren eigenen Schutz sorgen und dabei lernen, auf dieser Basis eine gemeinsame Linie zu finden. Französische Alleingänge in der Region beruhten auch darauf, dass die anderen Europäer Paris häufig nicht folgen wollten.
Macron werde mit seinem deutlichen außenpolitischen Ehrgeiz die Chance ergreifen, die Führungsrolle bei einer europäischen Nahost-Strategie zu übernehmen.
Keine Hilfe aus Berlin und Brüssel
Die Bundeskanzlerin hat inzwischen einer Beteiligung an einem möglichen militärischen Eingreifen in Syrien eine Absage erteilt. Aber man sehe und unterstütze, "dass dieser Einsatz von Chemiewaffen nicht akzeptabel ist". Und Angela Merkel fügte hinzu: "Einfach gar nichts tun, ist auch schwierig." Jetzt müsse "das ganze Spektrum von Maßnahmen" in Betracht gezogen werden. Die Kanzlerin ließ allerdings offen, woran sie dabei denkt. Es werfe ein schlechtes Bild auf Russland, dass die Überprüfung des Anschlags in Ost-Ghuta durch die Internationale Chemiewaffen-Behörde bisher nicht möglich gewesen sei. Erst nach Merkels Statement teilte Syriens UN-Botschafter Baschar al-Dschafari mit, Ermittler der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) hätten inzwischen Visa erhalten, um den Angriff in Duma zu untersuchen.
Die Angst vor einer Ausweitung des Konfliktes und einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Russland in Syrien ist dabei in Deutschland deutlich: Die USA dächten wohl derzeit über ihr weiteres Vorgehen nach, weil sie wüssten, dass ein militärisches Vorgehen in Syrien ein "Eskalationspotenzial birgt, das Gefahren bringt", vermutet CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Sprecher anderer Parteien warnen vor der Nutzlosigkeit eines solchen punktuellen Eingreifens, und Außenminister Heiko Maas hofft nur, die westlichen Alliierten würden vor einem Einsatz von Frankreich und Großbritannien informiert.
Die Europäische Union sieht sich derzeit zu keiner weiterreichenden Stellungnahme imstande. Man verurteile den Einsatz von Chemiewaffen "auf das Schärfste", erklärte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Erst am Montag aber werden sich die europäischen Außenminister treffen und eine gemeinsame Position beschließen. Kein Krieg vor dem Wochenende - so hieß in Brüssel wohl die Ansage. Ein Indiz für die außenpolitische Impotenz der EU.
London bereitet Eingreifen vor
Unterdessen informiert in London Premierministerin Theresa May ihr Kabinett darüber, dass sich die Streitkräfte auf ein Eingreifen vorbereiten. Die britische Luftwaffenbasis Akrotiri auf Zypern könnte als Basis für Luftschläge dienen, außerdem sollen sich nach Medieninformationen U-Boote mit Marschflugkörpern bereit machen. May hat in den vergangenen Tagen ihre Rhetorik zu Syrien erkennbar verschärft. Hatte sie zunächst von einer notwendigen Überprüfung und Abwarten gesprochen, sagt sie jetzt, dass alle Hinweise auf das syrische Regime als Urheber dieser "schockierenden barbarischen Attacke" deuteten. Damit liegt sie nun auf einer Linie mit Macron und Trump.
Die Premierministerin allerdings lehnt es ab, das Parlament aus der Osterpause zurückzurufen und an der Entscheidung zu beteiligen. Sie beruft sich auf ein historisches königliches Edikt, das ihr eigene Entscheidungsgewalt verleiht. Theresa May könnte nämlich nicht sicher sein, eine solche Abstimmung in Westminster zu gewinnen. Und nicht nur die oppositionelle Labour Party agitiert gegen einen Militäreinsatz, auch die große Mehrheit der Briten lehnt ihn ab, wie jüngste Umfragen zeigen.
Warum hat Theresa May ihren Kurs geändert? "Sie würde bei Macron und Trump wirklich an Gesicht verlieren", wenn sie außen vor bliebe, erklärt Nick Whitney vom ECFR. Beim Fall Salisbury habe sie sich vorsichtig verhalten, und am Ende große Unterstützung bei ihren Verbündeten in Europa und den USA erhalten. Politisch habe das für sie positiv gewirkt, sagt Whitney, denn nach der Attacke gegen die Skripals sei ihr Ansehen deutlich gestiegen, das von Labour-Führer Jeremy Corbyn dagegen stark gesunken.
Außerdem sieht die Regierung in London die Gefahr, dass sie nach dem Brexit zunehmend an den Rand gedrängt wird, wenn Frankreich die Vorreiterrolle in Europa übernimmt. Schon ihr Vorgänger David Cameron habe Großbritannien in die Isolierung driften lassen, und jetzt gelte plötzlich Frankreich in Washington als zuverlässigster Verbündeter. Ein Abrutschen aber in die militärische und außenpolitische Bedeutungslosigkeit gehe gegen die Instinkte von Theresa May. Selbst wenn sie der von Macron sorgsam gepflegten Männerfreundschaft zu Donald Trump nicht viel entgegensetzen könne.
Das übrige Europa aber sei schon deswegen nicht gefragt, weil niemand außer London und Paris über Marschflugkörper verfüge. Es gebe inzwischen "ziemliche Sorge wegen der gestiegenen Qualität der syrischen Luftabwehr", sagt Strategie-Experte Whitney. Einfach "drüber fliegen und bomben" wie früher sei heute keine Option mehr. Was aber eine nützliche Rolle der EU angeht, so sieht er sie nur bei humanitären Aufgaben, alles andere sei symbolisch: "Sie können nichts tun, um das Kräftemessen zwischen Washington und Moskau zu beenden."