Mairead McGuinness wird EU-Kommissarin
8. September 2020Die bisher größte mediale Aufmerksamkeit als EU-Politikerin bescherte ihr wohl ein Auftritt Anfang Januar dieses Jahres: EU-Abgeordnete der Brexit-Partei rund um Nigel Farage feiern Fähnchen schwenkend den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Parlaments-Vizepräsidentin Mairead McGuinness bittet - mit steinerner Miene - um Ruhe: "Packen Sie Ihre Flaggen weg, Sie gehen. Und nehmen Sie sie mit, wenn Sie jetzt gehen."
Künftig dürfte Mairead McGuinness (Artikelbild) häufiger im Rampenlicht stehen, denn aller Wahrscheinlichkeit nach siedelt sie vom Parlament in den exekutiven Arm der Europäischen Union über: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Irin als neue EU-Kommissarin vorgeschlagen. McGuinness folgt ihrem Landsmann Phil Hogan, der zurückgetreten war, weil er in seinem Heimatland Corona-Regeln missachtet hatte. Hogans wichtiges Handelsressort wird allerdings nicht von ihr, sondern von Valdis Dombrovskis geleitet werden, dem früheren lettischen Ministerpräsidenten und derzeitigen Vizepräsidenten der EU-Kommission. McGuinness soll stattdessen einen Teil von dessen Portfolio übernehmen und für Finanzmarktpolitik und Finanzdienstleistungen zuständig sein. Für die Irin ein klarer Aufstieg, für ihr Land allerdings eine Einbuße, was die Bedeutung des Postens angeht.
Erfahrene EU-Politikerin
Die 61-Jährige ist seit 2004 Mitglied des Europaparlaments, seit 2014 agiert sie als eine der 14 Vizepräsidenten, seit 2017 als Erste Vizepräsidentin. Diese Erfahrungen beschreibt von der Leyen als "entscheidend", um in der neuen Funktion die Finanzmarktpolitik voranzubringen. Mit Mairead McGuinness wären 13 der 27 Kommissionsmitglieder weiblich, wenn man die Präsidentin mitzählt - ein Schritt in Richtung der von Ursula von der Leyen anvisierten gendergerechten Kommission.
Mairead McGuinness wurde 1959 in Ardee, einem kleinen Städtchen im Nordosten Irlands, geboren - in eine "starke Fine-Gael-Familie", wie auf ihrer Webseite zu lesen ist. Diese politische Überzeugung begleitet sie bis heute: Im EU-Parlament vertritt sie als Mitglied der liberal-konservativen Fine-Gael-Partei den Wahlkreis Midlands-North-West.
Ebenso wie die Treue zu Fine Gael zieht sich ein Interesse für Landwirtschaft wie ein roter Faden durch McGuinness' Vita. Sie studierte in Dublin Agrarökonomie und war den Angaben ihrer Homepage zufolge 1980 die erste weibliche Absolventin dieses Faches. Nach dem Studium arbeitete sie als Journalistin und Moderatorin, zunächst für den irischen öffentlich-rechtlichen Sender RTÉ, später auch für Printmedien, immer mit einem besonderen Fokus auf das Thema Landwirtschaft.
In einem Video des EU-Parlaments von 2015 sagt McGuinness, eines ihrer Hauptanliegen sei es, Verbraucher und Erzeuger von Lebensmitteln enger zusammenzuführen. Im Parlament war sie bisher unter anderem Mitglied im Ausschuss für Umwelt und in dem für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Im Europaparlament war sie außerdem zuständig für den Dialog mit Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Während ihrer Karriere musste McGuinness auch immer wieder Niederlagen einstecken. 2017 etwa scheiterte ihr Wunsch, Präsidentin des EU-Parlaments zu werden. Vorher hatte sie erfolglos für einen Sitz im Unterhaus des irischen Parlaments kandidiert.
"Ein wichtiges Finanzportfolio"
Unterstützung für McGuinness‘ neue Aufgabe kommt unter anderem aus ihrem Heimatland: Irlands Regierungschef Micheal Martin schreibt auf Twitter, McGuinness bekomme "ein wichtiges Finanzportfolio". Und: Er zweifle nicht daran, dass sie "eine Schlüsselrolle in der Arbeit der Kommission spielen wird."
Auch Vertreter anderer Länder und Parteien, wie etwa die deutsche Sozialdemokratin Katarina Barley, befürworten die Auswahl der Irin. Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments sagt, die Entscheidung werde für eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem Parlament sorgen, die "bitter nötig" sei.
Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold lobt McGuinness als "geschätzte Kollegin", kritisiert aber, dass gerade eine irische Staatsbürgerin bald für Finanzmarktpolitik zuständig sei. "Irland hat in der Vergangenheit viel getan, um London bei Finanzdienstleistungen mit laxer Aufsicht Konkurrenz zu machen."
Bevor die Irin ihren Job als Kommissarin aufnehmen kann, muss sie sich in einer Anhörung noch ihren alten Kollegen stellen, den EU-Abgeordneten.