Mali - ständiger Unruheherd im Sahel
8. September 2023Gegen 11 Uhr am Donnerstagvormittag sollen bewaffnete Gruppen ein Schiff angegriffen haben, das normalerweise während der Regenzeit Zivilisten über die überschwemmten Ebenen zwischen den Städten Gao und Mopti transportiert. Wie die malische Armee berichtete, sei das Boot von mindestens drei Raketen getroffen worden und danach manövrierunfähig gewesen. Auch ein nahegelegener Armeestützpunkt sei angegriffen worden. Bei den beiden Angriffen kamen nach Angaben der malischen Militärregierung mindestens 49 Zivilisten und 15 Soldaten ums Leben. Viele weitere Menschen sollen verwundet worden sein. Auch 50 islamistische Kämpfer seien getötet worden. Die Regierung des westafrikanischen Staats rief eine dreitägige Staatstrauer aus.
Nur einen Tag später sprengte sich ein Selbstmordattentäter an einem malischen Militärlager in Gao in die Luft. Über mögliche Opferzahlen gab es zunächst keine Angaben.
Die Anschlagsserie ereignete sich nur kurz, nachdem die malische Armee am Mittwoch einen gezielten Luftschlag und eine Luftlandeoperation gegen das Camp eines gesuchten Islamistenführers durchführte, der in der Umgebung von Timbuktu Anschläge gegen Soldaten und Zivilisten geplant haben soll.
Seit Jahren im Visier islamistischer Gruppen
Die Situation in Mali ist seit über einem Jahrzehnt äußerst instabil. Sezessionistische Tuareg-Rebellen und verschiedene teils islamistische Milizen ringen seit 2012 mehr oder weniger offen um die Macht in großen Teilen des Sahelstaates, der zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, während die Zentralregierung in Bamako gleich von drei Militärputschen in nur zehn Jahren erschüttert wurde.
Im Norden Malis kämpfte das nomadische Berbervolk der Tuareg jahrzehntelang vergeblich für eine Unabhängigkeit von Bamako. Während des libyschen Bürgerkrieges sollen tausende Tuareg-Kämpfer Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi unterstützt haben. Nach dessen Sturz 2012, kehrten sie schwer bewaffnet nach Mali zurück, verbündeten sich mit den dort ansässigen Volksgruppen und brachten innerhalb kürzester Zeit den Norden des Landes unter ihre Kontrolle, wo sie den unabhängigen Staat Azawad ausriefen.
Gleichzeitig breiteten sich auch mehrere islamistische Milizen mit Verbindungen zu Al-Kaida und dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) immer weiter auf malischem Staatsgebiet aus. Teilweise gingen diese Allianzen mit den Tuareg ein, teilweise bekämpften sie sich jedoch auch gegenseitig. In der Folge verloren die Tuareg immer mehr die Kontrolle über die eroberten Gebiete an diese islamistischen Milizen, die daraufhin immer weiter nach Süden vordrangen und die Zentralregierung in Bamako in Bedrängnis brachten.
Intervention und gescheiterte Stabilisierung
Die wiederum wandte sich in ihrer Not um Hilfe an die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Mittels einer Militärintervention konnten französische und malische Streitkräfte die Islamisten zunächst zurückdrängen. 2013 wurde zudem die UN-Stabilisierungsmission MINUSMA ins Leben gerufen, bei der zeitweise mehr als 10.000 Blauhelmsoldaten die Sicherheit des Landes gewährleisten sollten. Auch die deutsche Bundeswehr war mit mehr als 1100 Soldaten an dieser Mission beteiligt. Die Franzosen befehligten seit 2014 eine eigene Mission namens "Operation Barkhane" zur Terrorismusbekämpfung in der gesamten Sahelzone. Zudem unterhielt die EU eine Ausbildungsmission für malische Sicherheitskräfte im Süden des Landes.
Doch von Stabilität ist das Land auch ein Jahrzehnt später noch weit entfernt. Die islamistischen Milizen konnten nie vollständig verdrängt werden und erschüttern regelmäßig das Land mit Anschlägen auf Militär und Zivilbevölkerung. Gleichzeitig nahmen die Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen des Landes, die es schon vor 2012 gegeben hatte, immer weiter zu. Zudem putschte das Militär in den Jahren 2020 und 2021 gleich zweimal kurz hintereinander gegen die jeweilige Regierung.
Wagner-Gruppe statt westlicher Hilfe
In der Folgezeit verschlechterte sich das Verhältnis der Militärregierung zum Westen dramatisch. Zunächst stellte Frankreich seine militärische Zusammenarbeit mit der malischen Armee ein und beendete die "Operation Barkhane". Vor allem Paris zweifelte die Rechtmäßigkeit der neuen Machthaber in Bamako an. Besonders scharf kritisierten westliche Länder die Entscheidung der neuen Regierung, russische Wagner-Soldaten zur Terrorismusbekämpfung ins Land zu holen. Zudem verabschiedete die Militärregierung mehrere Verordnungen, die die Arbeit der Blauhelmsoldaten behinderten.
2022 beschlossen die ersten Mitgliedstaaten der MINUSMA-Mission - darunter auch Deutschland -, ihre Truppen bis zum Jahresende 2023 abzuziehen. Ende Juni 2023 wurde das endgültige Aus für MINUSMA erklärt. Ihre Basen werden zum Jahresende an die malischen Sicherheitskräfte übergeben. Auch die EU hat ihre Ausbildungsmission für die malischen Streitkräfte ausgesetzt.
Sicherheitslage "extrem verschlechtert"
Der sich abzeichnende Bruch der malischen Regierung mit UN und EU hat zu einem deutlichen Anstieg der Gewalt geführt. Zum einen nahm die Zahl der Terroranschläge im Land erneut zu. Zum anderen scheinen auch die russischen Wagner-Söldner durchaus brutal vorzugehen. Offiziell spricht die malische Regierung nur von "russischen Ausbildern", internationale Experten schätzen aber, dass rund 1000 Wagner-Kämpfer mittlerweile im Land sein sollen.
"Die Sicherheitssituation hat sich seit der Machtübernahme der Militärjunta im August 2020 extrem verschlechtert", schreibt etwa das Washingtoner "Africa Center for Strategic Studies". Die regierungsunabhängige Organisation ACLED berichtet, dass die russischen Wagner-Söldner an Kampfeinsätzen teilnähmen und dabei ein "Klima der Angst" verbreiteten. Anti-Terror-Einsätze, an denen Wagner-Söldner beteiligt seien, hätten "weit mehr zivile Opfer" zur Folge als zuvor. Eine Untersuchung des Center for Strategic and International Studies berichtet von mehreren Massakern und Exekutionen, die unter Mithilfe von Wagner-Söldnern verübt worden sein sollen. Alleine bei einer solchen Gräueltat im März 2022 seien über 300 Zivilisten im zentralmalischen Moura getötet worden.