Marina Abramović in Belgrad: Rückschau in der alten Heimat
19. September 2019In den USA fand 2010 eine große Retrospektive von Marina Abramović statt - die Schau "The Artist is present" im New Yorker Museum of Modern Art schlug ein wie eine Bombe. Seit 2017 tourte die Performancekünstlerin dann durch sieben Städte Europas. Und nun, zum Abschluss und Höhepunkt kehrt die Artistin in ihre Heimatstadt zurück - nach 44 Jahren. Mit welchen Erwartungen?
Künstlerischer Werdegang in Jugoslawien und Europa
Marina Abramović kommt 1946 in Belgrad zur Welt, sie studiert Malerei an der Kunstakademie in Belgrad und in Zagreb. Ihr Interesse für die Performancekunst erwacht früh, 1969 schlägt sie dem Belgrader Kulturzentrum erste Ideen vor, die aber abgelehnt werden. Sie experimentiert mit Klanginstallationen, zeigt sie in Ausstellungen. 1973 wird sie erstmals zu einem internationalen Festival nach Schottland eingeladen und zeigt ihre erste Performance-Arbeit: Rhythm 10.
Die junge Künstlerin beginnt, sich zu vernetzen, trifft den Deutschen Joseph Beuys, der ihrer ersten Performance beiwohnt. "In diesem Augenblick wusste ich, dass ich mein Medium gefunden hatte", notiert Marina Abramović in ihrer Autobiografie "Durch Mauern gehen". Für sie ein Erweckungsmoment: "Ich hatte die totale Freiheit erfahren - ich hatte gespürt, dass mein Körper grenzenlos war; dass Schmerz keine Rolle spielte, dass überhaupt nichts eine Rolle spielte - und es war berauschend."
Harsche Kritik aus Belgrad
Da reift schon ihr Entschluss, die jugoslawische Heimat zu verlassen. Doch nimmt sie zunächst einen Job an der Kunstakademie in Novi Sad an, das gibt ihr finanzielle Freiheit. Marina Abramović wendet sich ganz der Performance-Kunst zu. Es folgen Ausstellungen in Rom 1973, in Belgrad, Zagreb und Mailand, welche die junge Performancekünstlerin in Europa ins Gespräch bringen, und in denen sie sich und ihren Körper nicht schont.
Doch aus Belgrad erreichen Sie überwiegend Verrisse. "Die Zeitungen in meiner Heimatstadt zogen hemmungslos über mich her", schreibt sie in der Autobiografie. "Was ich tue, habe nichts mit Kunst zu tun, schrieben sie. Ich sei nichts weiter als eine exhibitionistische Masochistin. Man solle mich ins Irrenhaus stecken." Die Kritik trifft Marina Abramović - und spornt sie gleichzeitig an.
Performancekunst beim jungen Publikum beliebt
"Performancekunst war eine ganz neue Form, völlig ohne Referenz in der Kunstwelt. Das hat die Menschen in der Vergangenheit verwirrt und sie haben diese Ideen abgelehnt", sagt Marina Abramović heute. "Es ist aber nicht so, dass heute die Situation dramatisch anders aussieht. Es gibt immer noch viele Menschen auf der Welt - und in Ex-Jugoslawien - , die sagen, das ist doch keine Kunst! Die Anerkennung für meine Arbeit kommt überwiegend von jungen Menschen, jungen Künstlern, nicht unbedingt aus meiner Generation", so Marina Abramović im Gespräch mit der Deutschen Welle.
1975 lernt sie in Amsterdam den deutschen Künstler Ulay kennen - und lieben. Sie verlässt Belgrad. Erst macht sie im Duo mit Ulay, nach der Trennung 1988 als Solokünstlerin Karriere - in Europa und international. Ihre alte Heimat sieht sie nur, wenn sie ihre Familie besucht.
Annäherungsversuche
Immer wieder gibt es Möglichkeiten, sich anzunähern. An Marina Abramovićs fünfzigstem Geburtstag lädt der Direktor des montenegrinischen Nationalmuseums sie ein, Serbien und Montenegro auf der 47. Biennale von Venedig zu vertreten. Doch der montenegrinische Kulturminister macht eine Kehrtwende, als die Künstlerin ihre kriegskritische, blutige und teure Performance "Balkan Baroque" vorstellt. Kurzerhand wird die Künstlerin ausgeladen. Der Höhepunkt von Marina Abramović' künstlerischer Karriere lässt sich nicht mehr verhindern: Die Serbin wird zur internationalen Sektion der Biennale eingeladen - und gewinnt 1997 mit ihrer viertägigen Performance den Golden Löwen als beste Künstlerin.
Serbien buhlt heute um junge Kunst
Von einer innigen Beziehung Serbiens zu seiner Künstlerin Abramović kann keine Rede sein - ganz im Gegenteil. Dies zu ändern schrieb sich 2017 die serbische Premierministerin Ana Brnabic auf die Fahnen. Nach den Stationen Stockholm, Oslo, Kopenhagen, Bonn, Florenz und Torun, wollte sie die Retrospektive "The Cleaner" nach Belgrad holen. Mehrere Monate dauerten die Gespräche, dann wurde man sich handelseinig. Mit der Ausstellung wolle Brnabic ihren neuen Ansatz in der Kulturpolitik unterstreichen, heißt es in einem Regierungsstatement. Die Ausstellung, die das Belgrader Museum für Moderne Kunst jetzt unter dem Titel "Čistać" zeigt, sei vor allem als ein Signal an junge Künstler zu verstehen. Sie könnten sich auf die Unterstützung der heimatlichen Kulturinstitutionen verlassen, und bräuchten nicht ins Ausland abzuwandern.
Finale mit Risiko
Ob die Message beim jungen Publikum und der Kunstszene ankommt, bleibt abzuwarten. Nicht nur in Belgrad wird das Kunstevent des Jahres mit Spannung erwartet. "Nach 44 Jahren wird mein Werk in Belgrad ausgestellt - meine Geburtsstadt und mein Hintergrund hat viel zu meinem Werk beigetragen, viele meiner Ideen sind vom slawischen Kulturraum geprägt, von Serbien und ganz Ex-Jugoslawien", sagt Abramović. "Ich bin sehr aufgewühlt - und hoffe auf das Beste."