Markt ohne Wettbewerb
14. September 2004Die Deutschen müssen im Vergleich zu anderen Europäern tief in die Tasche greifen, wenn sie heizen, Licht anmachen oder Wäsche waschen wollen. Ein Blick auf die Preiserhebung des Energie Informationsdienstes (EID) für Juli 2004 macht den Unterschied deutlich: Während ein deutscher Haushalt bei einem jährlichen Stromverbrauch von 3500 Kilowattstunden mit Kosten von rund 615 Euro rechnen muss, zahlen die Briten 435 Euro im Jahr. Am günstigsten kommen die Finnen weg: Sie müssen nur 370 Euro ausgeben.
Strompreis als Standortnachteil
Bei den Strompreisen für Industriekunden liegt Deutschland im EU-Vergleich sogar an zweiter Stelle hinter Italien. Sinkende Preise sind nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die großen Energiekonzerne wie Eon, Vattenfall oder RWE wollen die Preise für Strom weiter erhöhen. Eine Gefahr für die deutsche Konjunktur, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin: "Betroffen sind alle energieintensiven Branchen, wie zum Beispiel der Chemiesektor. In Deutschland trifft eine Strompreiserhöhung sehr viele Branchen." Gerade jetzt, wo in Deutschland ein Aufschwung erwartet werde, sei das sehr bedenklich, sagt Kemfert. "Es ist zu hoffen, dass die großen Stromkonzerne ihre Preise aus Rücksicht auf den Standort Deutschland weniger hoch schrauben werden als geplant."
Macht durch Monopole
Kurz nach der Liberalisierung des Strommarktes vor vier Jahren waren die Preise zunächst gefallen. Markttendenzen wie Unternehmensfusionen und -aufkäufe in der Energiebranche hätten aber wieder zu steigenden Strompreisen geführt, sagt Kemfert. Auch Holger Krawinkel vom Verbraucherverband in Berlin sieht die Ursachen für die hohen Preise auf dem deutschen Energiemarkt in der Monopolstellung der Stromkonzerne. Ein wichtiges Problem sei dabei das Monopol über die Stromnetze. Deren Nutzung müssen Stromhändler teuer bezahlen. Ein Drittel des Nettostrompreises entfällt auf die Gebühren für die Netznutzung – Tendenz steigend.
Neue Kontrollbehörde
Ab dem 1. Januar 2005 sollte alles besser werden: Das Kabinett hatte im Juli 2004 das Energiewirtschaftsgesetz verabschiedet, das eine Regulierungsbehörde festschreibt. Ähnlich wie die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) – der die neue Behörde angeschlossen wird – soll sie für einen fairen Wettbewerb auf dem Energiemarkt sorgen. Allerdings soll die neue Behörde anders als bei Post und Telekommunikation die Preise nachträglich kontrollieren. Keine gute Idee, glaubt Krawinkel: "Diese so genannte Missbrauchsaufsicht hat schon beim Kartellamt nicht funktioniert und sie wird auch in keinem anderen Land wirklich angewendet." Nur wenn ein Unternehmen vorab Unterlagen zur Preisgenehmigung einreichen müsste, könne man davon ausgehen, dass sie vollständig seien, sagt der Verbraucherschützer. "Wenn man die Unternehmen hinterher erwischen will, versuchen sie natürlich, sich herauszureden. Das kann unseres Erachtens nicht funktionieren", so Krawinkel. Auch viele Bundesländer fordern die Vorabprüfung und Genehmigung der Strompreise. Deshalb ist es fraglich, ob die Regulierungsbehörde wirklich schon wie geplant zu Beginn des kommenden Jahres ihre Arbeit aufnehmen kann. Der Widerstand im Bundesrat ist vorprogrammiert.
Bundeskanzler Gerhard Schröder will erstmal einen Krisengipfel mit Vertretern aus der deutschen Energiewirtschaft, mit Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und Umweltminister Jürgen Trittin einberufen, um über die angekündigten Preiserhöhungen zu diskutieren. Eine Einigung mit der Energiewirtschaft ist aber eher unwahrscheinlich, denn die sieht die Schuld für die hohen Strompreise bei der Bundesregierung. So beruft sich der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) auf Belastungen durch Steuern und Abgaben in Höhe von 40 Prozent. Mit den Preiserhöhungen würden die Konzerne auf gestiegene Brennstoffpreise und die Kosten für die Förderung erneuerbarer Energien reagieren, sagte der Hauptgeschäftsführer des VDEW laut Zeitungsberichten.