Marx-Denkmal: "Nicht ganz unproblematisch"
14. März 2017Deutsche Welle: Der Trierer Stadtrat will nun das umstrittene Geschenk der Volksrepublik China zum 200. Geburtstag von Karl Marx annehmen. Warum haben sich sowohl Teile der Bevölkerung, als auch politische Parteien gegen die Annahme der Karl-Marx-Statue gesträubt?
Winfried Speitkamp: Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Gründen, warum Trierer gegen die Annahme waren. Erstens ist der Schenkende China, dessen Regierung nicht unbedingt ein Vorbild für Demokratie und Menschenrechte ist. Zweitens ist Karl Marx als Ahnherr für den Marxismus und Leninismus nicht ganz unumstritten. Er ist als Grundlage für eine ganze Staatsform, ja sogar Diktaturform in Verruf geraten. Drittens befinden wir uns in einer Epoche, in der es sehr ungewöhnlich ist, neue Personendenkmäler aufzustellen – und dann auch noch ein so monumentales.
In den Ländern des ehemaligen Ostblocks hat man nach dessen Zerfall viele Denkmäler von Marx und Engels zerstört. Wie geht man heute mit den Gedenktafeln und Statuen der beiden Philosophen um?
Man hat einige Denkmäler tatsächlich zerstört beziehungsweise abgetragen. Einige wurden umgesetzt, quasi musealisiert in einer Art Denkmalpark, wie das in Budapest der Fall war. Man hat es getan, um sich zu distanzieren, weil man die Verbindung zu dem früheren politischen System nicht mehr stark machen wollte. Heute erkennt man durchaus Momente von Nostalgie, die dazu führen, dass man bestimmte lokale Erinnerungsorte behält. In Chemnitz ist das Marx-Denkmal ja nicht nur erhalten geblieben, weil es schwer wäre, es zu dekonstruieren, sondern weil es eben auch ein lokaler Erinnerungsort ist. Neben Denkmälern gibt es in Deutschland noch viele Straßennamen, die an Karl Marx erinnern – nicht nur auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, aber vor allem dort. Das muss nicht politisch interpretiert werden, sondern kann schlichtweg für Tradition und Geschichte stehen.
Wie ist die Wahrnehmung der beiden in ihrem Geburtsland Deutschland? Inwiefern hat sich der Umgang mit ihnen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert?
Nach 1990 gab es eine Diskussion darüber, ob Marx und Engels gewissermaßen "schuld" waren am politischen System der DDR oder ob sie von diesem missbraucht wurden. Diese politische Diskussion führte dazu, dass man versucht hat, den Philosophen Marx vom politischen Ideengeber Marx zu trennen. In der Wissenschaft ist er zu dieser Zeit vollkommen in den Hintergrund gerückt und erschien fast obsolet. Die Gesamtausgaben von Marx und Engels wurden in den Universitätsbibliotheken in den Hintergrund gerückt – nicht nur symbolisch, sondern manchmal tatsächlich. In letzter Zeit ist das wissenschaftliche Interesse jedoch wieder gewachsen. Marx gilt nicht mehr nur als der überholte Ideengeber eines überholten Systems.
Worin sehen Sie die Gründe für das wiederkehrende Interesse an Marx?
Zum einen ist da die zeitliche Distanz zur DDR und zur Sowjetunion. Man glaubt mittlerweile nicht mehr, dass mit der Beschäftigung mit Marx eine Stellungnahme zugunsten der DDR verbunden ist. Zum anderen liegt es an der Kritik an bestimmten Erscheinungen des Kapitalismus und der Globalisierung. Marx wird wieder konsultiert, weil man schaut, ob er nicht damals schon Interpretationen geliefert hat, die man heute wieder anwenden könnte. Hinzu kommt, dass die Deutungen, die heutzutage an Marx anknüpfen, nicht mehr bedrohlich revolutionär sind. Wenn Sahra Wagenknecht sich auf Marx beruft, hat man keine Angst, dass die Revolution vor der Tür steht. Er ist heute ein gesellschaftsfähiger Marx, gewissermaßen ein "Marx light". Zudem hat er auch als lokaler Erinnerungsort eine gewisse Bedeutung. Die Stadt Trier sagt ja nicht, dass sie den Marxismus wiederbeleben will, sondern macht deutlich, dass Marx dort geboren ist und somit zur Stadt gehört.
Können Sie als Historiker trotzdem nachvollziehen, dass Kritiker Marx-Denkmäler als Symbol für Unterdrückung und Tyrannei kommunistischer Regime sehen?
Ich kann als Historiker sehr wohl nachvollziehen, dass man solche Denkmäler nicht mehr unbefangen als Geschichtszeugnisse sehen kann. Umgekehrt würde ich in meiner Rolle als Historiker auch sagen, dass man solche Dokumente stehen lassen sollte. Allerdings sollte man erklären, was dahinter steckt, durch Tafeln oder ähnliches - also erhalten und gleichzeitig eine distanzierende Präsentationsform wählen. Man sollte nichts aus der Geschichte löschen. Sicher gibt es hier Grenzen. Denkmäler für Täter darf man nicht stehen lassen, aber Marx ist ein Denker und Anreger gewesen, weshalb sich eine Auseinandersetzung mit ihm lohnt. Merkwürdig ist hingegen, dass man ihm heute ein neues Denkmal errichten möchte. Wenn überhaupt ist das nur, wie im Fall Trier, an so prägnanten Orten, wie dem Geburtsort der Person, denkbar.
Bei der Diskussion im Trierer Stadtrat stand die Statue vor allem als Geschenk Chinas in der Kritik. Die FDP sprach von einem "despotischen, unmenschlichen und blutrünstigen Regime" und auch die Grünen sagten, man könne mit der Ablehnung des Geschenks ein Zeichen gegen dortige Menschenrechtsverletzungen setzen. Glauben Sie, dass es eine solche Kontroverse gegeben hätte, wenn die Stadt einen deutschen Bildhauer mit der Arbeit beauftragt hätte?
Die Idee wäre dann für völlig absurd erklärt worden. Man baut heutzutage in Deutschland einfach so gut wie keine neuen Personendenkmäler mehr. Die Verbindung zu China hat natürlich auch touristische Gründe, wie das auch mit der Engels-Statue in Wuppertal-Barmen der Fall war, die ebenfalls ein Geschenk der Volksrepublik und deshalb auch nicht unumstritten war. Diese Denkmäler ziehen Scharen von chinesischen Touristen an. In China gelten Marx und Engels noch als die großen Vordenker, mit denen man sich aktiv auseinandersetzt. Die Wortwahl der Parteien im Stadtrat ist tatsächlich sehr harsch. Dennoch ist es merkwürdig und anachronistisch, wenn man sich von einem Regime vorschreiben lässt, wie dieses Denkmal auszusehen hat und dass man es zwingend auf einem öffentlichen Platz aufstellen muss – das ist nicht ganz unproblematisch.
Winfried Speitkamp ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Kassel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Geschichte der Denkmalpflege sowie der Geschichtskultur im Zusammenhang mit politischer Symbolik. Im April tritt er sein Amt als Präsident der Bauhaus-Universität Weimar an. Mit ihm sprach Felix Schlagwein.