Massaker in Peking beschäftigt China weiter
4. Juni 2004"Es war keine Demokratiebewegung, sondern eine Protestaktion von Studenten und mit späterer Beteiligung von Bürgern." Mit dieser Aussage hat die freie Autorin und bekannte Regimekritikerin Dai Qing für eine hitzige Debatte unter chinesischen Intellektuellen gesorgt. Vor 15 Jahren sah sie die Gefahr einer Eskalation kommen und versuchte mehrmals auf dem Tiananmen-Platz - dem Platz des Himmlischen Friedens, die Studenten zum Rückzug zu bewegen. Heute wirft sie vor allem der radikalen Studentenanführerin Chai Ling vor, es geradezu aufs Blutvergießen angelegt zu haben, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Eine scharfe Attacke, die Chai Ling nicht zu entkräften versucht hat. Sie betreibt heute mit ihrem amerikanischen Ehemann eine Internetfirma und will von der Dissidentenszene nichts mehr wissen.
Zusammenstoß der Reformer
Für Wang Juntao, der von der chinesischen Regierung als die "schwarze Hand" des so genannten "Zwischenfalls vom 4. Juni" bezeichnet wurde und für fünf Jahre ins Gefängnis musste, waren die Ereignisse von damals ein tragischer Zusammenstoß zweier unterschiedlicher Reformkräfte in China. Es habe damals drei Kräfte in der Partei gegeben, erinnert er sich: Die erzkonservativen Maoisten und Stalinisten; die Wirtschaftsreformer um Deng Xiaoping; und die liberalen Reformer, die für umfassende Reformen des politischen Systems plädierten. "Für mich war es die größte Tragödie dieser Demokratiebewegung", so Wang Juntao, "dass es zum Zusammenstoß zwischen den wirtschaftlichen und politischen Reformern gekommen war. Wenn einige Probleme damals besser gelöst worden wären, wäre dieser Zusammenstoß nicht dermaßen heftig ausgefallen."
Rückschritt für Bürgerrechte
Fest steht, dass die Niederschlagung der Bewegung China in der politischen Liberalisierung um Jahre zurückgeworfen hat. Dies bestätigt auch Wang Dan, bekannt als sanfter Studentenführer mit Charisma, der nach einer mehrjährigen Gefängnisstrafe in die USA ausgewiesen wurde und weiter unbeirrt für Bürgerrechte und Demokratie in China kämpft. 1989 habe er noch an der Peking-Universität einen Salon für Demokratie organisiert. Die Uni-Leitung sei zwar nicht einverstanden gewesen, schritt aber auch nicht ein. Heutzutage reichten seiner Erfahrung nach schon privat organisierte Reform-Diskussionen, um zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt zu werden. "Dies ist ein Zeugnis schwerer Menschenrechtsverletzungen und ein Niedermachen von Andersdenkenden", sagt Wang Dan. "In dieser Hinsicht erleben wir in China schon einen Rückschritt."
Hoffen auf die Bevölkerung
In diesem politischen Klima halten es viele Beobachter für unwahrscheinlich, dass Chinas vierte Führungsgeneration, die seit mehr als einem Jahr die Geschicke der Volksrepublik lenkt und als vergleichsweise liberal gilt, in baldiger Zukunft die offizielle Bewertung des 4. Juni korrigieren könnte. Die Demokratiebewegung wird offiziell immer noch als "konterrevolutionäres Chaos" bezeichnet. Für den heute im französischen Exil lebenden Feng Congde - einer der Hauptakteure von damals - ist es daher entscheidend, wie laut der Ruf der Bevölkerung nach einer Neubewertung sein wird. Wenn sie genügend Druck ausübe, sei eine solche Neubewertung der Freiheitsbewegung von 1989 in Peking durch die Regierung vorstellbar.