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Ruandische Mediengestalter

Alice Kohn6. November 2015

Eine neuartige Ausbildung macht junge Ruander zu medialen Alleskönnern. Durch Praktika in Deutschland erhalten sie Rüstzeug, das ihnen helfen soll, die Zukunft der ruandischen Medienindustrie zu gestalten.

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Übungsdreh für Mediengestalter des "Rwanda Media Projects" in Kigali (Foto: DW Akademie/Floran Kroker):
Bild: DW/F. Kroker

Das Postproduktionsstudio der Deutschen Welle in Berlin ist an diesem Montagabend voll besetzt. Hinter dem Toningenieur haben es sich zwei Praktikanten aus Ruanda bequem gemacht und schauen ihm ganz genau bei der Synchronisierung eines TV-Beitrags über die Schulter. Als die Aufnahme in der angrenzenden Sprecherkabine stoppt, springt Louis Kassana plötzlich auf und zeigt von einem Lautsprecher zum nächsten. "Interessant!", ruft er, "die Stimmen sind in Mono, Musik und Atmo aber in Stereo." Auch sein Praktikumskollege Robert Karara nutzt die kurze Pause und stellt leise ein paar technische Fragen zum Mischpult.

Louis und Robert haben ein langes Wochenende hinter sich, an dem sie "viel Bundesliga geguckt haben." Aber nicht zum Spaß, sondern quasi als Hausaufgabe. Denn die beiden absolvieren ein Praktikum in der Sportredaktion der Deutschen Welle in Berlin. Dieses ist Teil ihrer Ausbildung zum Mediengestalter am KWETU Film Institute in Kigali. Insgesamt zwei Jahre lang erhalten sie und 13 weitere Azubis dort Trainings für Kamera, Ton und Schnitt, ergänzt durch drei Berufspraktika. Für ihr nunmehr letztes Praktikum ging es jetzt nach Deutschland, wo sie acht Wochen lang Erfahrungen in verschiedenen Medien- und Filmverleihfirmen sammeln. Theorie, Workshops und Praktika - diese Kombination ist in der Berufsausbildung in Ostafrika bislang einzigartig, der Jahrgang von Louis und Robert der erste seiner Art.

Praktikanten Robert (rechts) und Louis (3.v.r.) bei einer DW-Produktion (Foto: DW Akademie/Alice/Kohn)
Blick über die Schulter für neue Perspektiven: Praktikanten Robert (r.) und Louis (3.v.r.) bei einer DW-ProduktionBild: DW/A. Kohn

Zeit für neue Medienmacher

Die Ausbildung "German Style", wie manche Mediengestalter sie nennen, ist Herzstück des "Rwanda Media Project", initiiert vom deutschen Regisseur und Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff in Zusammenarbeit mit dem KWETU Film Institute und der DW Akademie. Hier soll nicht nur jungen Medienmachern eine neue Perspektive gegeben werden. Langfristig zielt das Projekt, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit finanziert wird, darauf ab, die ruandische Film- und TV-Branche zu professionalisieren.

Mediengestalter vom "Rwanda Media Project" bei einem Übungs-Dreh (Foto: DW Akademie/Florian Kroker)
Mediengestalter vom "Rwanda Media Project" bei einem Übungs-DrehBild: Florian Kroker

Denn mehr als 20 Jahre nach dem Genozid sind die Folgen in Ruanda weiterhin zu spüren - auch in der Medienlandschaft. Einige Radios und Zeitungen verbreiteten während des Völkermords, den die Bevölkerungsgruppe der Hutus an den Tutsis verübte, eine aggressive Hasspropaganda. "Never again" - dieses wichtige Credo hat weitreichende Konsequenzen und stellt unter anderem die Informations- und Pressefreiheit unter staatliche Beaufsichtigung. Aufwind verschaffte da erst 2013 ein liberaleres Mediengesetz, das den Medienmarkt öffnete und damit die Gründung von privaten Medienunternehmen möglich machte. Jetzt ist professionell ausgebildetes Personal gefragt - gute Berufsaussichten also für die jungen Mediengestalter.

Der Blick weitet sich

Darauf hofft auch Louis Kassana. "Die Medienwelt in Ruanda ändert sich derzeit sehr schnell, alles ist im Fluss und es kommen viele neue, unabhängige Sender hinzu", erzählt der 25-Jährige und fügt selbstsicher hinzu: "Die brauchen jetzt Leute wie uns!" Das glaubt auch Niels Eixler, Chef vom Dienst bei der DW-Sportredaktion. Er hat die Auszubildenden von Anfang an begleitet und sie auch in Kigali trainiert. Was ihn besonders freue: "Der Blick der Mediengestalter hat sich hier in Berlin bereits geweitet - zu der ruandischen Perspektive ist jetzt eine neue hinzugekommen." Daher sei das Praktikum in Deutschland wichtig für die Ausbildung.

Während des Praktikums in Berlin will Niels Eixler, Mentor des "Rwanda Media Projects", den Mediengestaltern vor allem ein Gefühl für journalistische Arbeitsweisen vermitteln. Während der Produktion der Sportsendung fordert er die beiden immer wieder auf, mitzudenken: "Wie wirkt das Format auf euch?" "Was kann man verbessern?". So ganz wohl fühlen sich die Auszubildenden damit nicht. "Ich arbeite lieber im Schnitt", erzählt Louis, "da kann man Probleme lösen, die während des Drehs aufgetreten sind."

Mentor Niels Eixler (Mitte) mit den ruandischen Mediengestaltern vor dem Gebäude der Deutschen Welle in Berlin
Mentor Niels Eixler (Mitte) mit den ruandischen MediengestalternBild: DW/A. Kohn

Und solch ein Problem begegnet den Mediengestaltern auch in der Postproduktion für die Sportsendung. Es geht um die Übersetzung eines Beitrages aus dem Deutschen ins Englische. "Wir sind Woom!", sagt da der Fußballtrainer Pep Guardiola - doch wie übersetzt man "Woom"? "Man könnte den Ton wegnehmen", schlägt Louis vor. "Aber dann sieht man ja noch Guardiolas Lippenbewegung", wirft Robert ein. Vielleicht hat der Kollege aus der Nachvertonung eine Idee. Also ab ins nächste Produktionsgebäude: Flur hoch, nach links, Louis klatscht einen Kollegen ab, Treppe, an den großen Studios vorbei, Hausausweis raus, Drehkreuz und wieder Treppenhaus. "Und das", lacht Louis, "das ist der Grund, warum ich mir nach meiner ersten Praktikumswoche Turnschuhe gekauft habe!"

Neue Mediengeneration

Neben neuen Turnschuhen bekommen die beiden auch neue Sichtweisen auf Arbeitsabläufe. "So klischeehaft das klingt, die Deutschen arbeiten sehr schnell und effizient." Nach der Ausbildung möchte er in einem der neu eröffneten Medienhäuser in seinem Heimatland arbeiten: "Wenn ich diese Arbeitskultur nach Ruanda mitnehme, kann ich die Medienindustrie dort verändern."

Robert Karara (rechts) und Louis Kassana im Schneideraum bei der DW in Berlin (Foto: DW Akademie/Alice Kohn).
Wollen die ruandische Medienlandschaft ändern: Robert Karara (rechts) und Louis KassanaBild: DW/A. Kohn

Erst einmal gilt es, eine Lösung für das Guardiola-Problem zu finden. Der Kollege aus der Nachvertonung hat doch eine passende Übersetzung gefunden. Aus "Wir sind woom!" wird "We are the business." "Sehr gut", findet Robert. Louis lehnt sich zurück und schaut auf seine Schuhe. "Morgen Abend, wenn die Produktion der Sendung vorbei ist, gehen wir mit dem Redaktionsteam kicken!", freut er sich.