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Mediziner: "Immunität gegen Corona relativ kurzlebig"

28. Oktober 2020

Während die Welt weiter auf einen Impfstoff gegen das Coronavirus wartet, bleibt unklar, wie lange Menschen nach überstandener COVID-19-Erkrankung immun sind. Warum, erklärt Immunologe Thomas Kamradt im DW-Interview.

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Ein Coronavirus Graffito an einer Wand in Mexico. Davor ein Mann mit Maske.
Aktuell helfen nur Maske, Abstand und Hygiene gegen das Coronavirus.Bild: Getty Images/AFP/P. Pardo

DW: Herr Prof. Kamradt, angesichts rasant steigender Infektionszahlen in Europa wird die Frage der Immunität gegen das Coronavirus derzeit wieder oft gestellt. Eine neue Studie des Imperial College London dämpft die Hoffnungen auf eine natürliche Immunität. Demnach sinkt der Anteil der Bevölkerung, die nach einer überstandenen COVID-19-Erkrankung eine Immunität entwickelt hat. Was sagen uns die Erkenntnisse der Studie?

Prof. Thomas Kamradt: Diese sehr große Studie bestätigt, was verschiedene frühere kleinere Studien auch schon herausgefunden haben: Nämlich, dass die Antikörper-Antwort gegen SARS-CoV-2 begrenzt ist, dass also bei manchen Patienten einige Monate nach der Infektion keine Antikörper mehr nachweisbar sind.

Es gibt jedoch auch unterschiedliche Forschungsergebnisse. Manche Studien sprechen von einer Immunität, die mindestens fünf Monate anhält, andere dagegen nur von rund zweieinhalb Monaten. Wie kommt es zu solch unterschiedlichen Erkenntnissen? 

Thomas Kamradt
Thomas Kamradt rät auch denen zur Vorsicht, die eine Infektion überstanden haben. Bild: Uniklinikum Jena

Gut zwei Monate Immunität sind sicher das untere Ende der Spanne, und dies betrifft auch nicht alle Infizierten, sondern nur manche. Konsens der Forschung ist, dass bei Menschen, die nur geringe bis gar keine Symptome von COVID-19 hatten, die Lebensdauer der Antikörper niedriger ist als bei Menschen, die schwere Symptome hatten.

Das konnten wir selbst in der sogenannten Neustadt-Studie, einem kleinen Ort im Thüringer Wald, feststellen. Auch hier waren bei Personen, die einen milden Verlauf hinter sich hatten oder gar nichts von ihrer Erkrankung wussten, keine Antikörper mehr nachweisbar. Für weitreichende Aussagen zur Immunität ist es aber noch zu früh. Wir kennen das Virus erst seit ungefähr neun Monaten. Das heißt: Wie viele Patienten nach zwei Jahren noch Antikörper haben, wissen wir heute nicht. 

Lässt sich denn auf Basis des aktuellen Forschungsstandes sagen, wie lange wir nach einer Infektion mindestens immun sind gegen das Coronavirus?

Es gibt nur wenige Menschen, bei denen nach zwei, drei Monaten keine Antikörper mehr nachweisbar sind. Bei den meisten Menschen ist es ein längerer Zeitraum. 

Lesen Sie mehr: Wie lange bin ich nach einer COVID-19-Infektion immun?

Infografik Abwehrsystem des Menschen DE

Wie groß ist die Gefahr, sich nach einer überstandenen COVID-19-Erkrankung erneut mit dem Virus zu infizieren?

Es gibt einige dokumentierte Fälle, also es kann vorkommen. Bei diesen Fällen wurde klar nachgewiesen, dass es unterschiedliche Virus-Stämme waren, es sich somit um zwei unterschiedliche Infektionen handelte. Aber das sind bis jetzt Einzelfälle.

Wie groß ist die Gefahr, dass das Virus mutiert und dadurch die erworbene Immunität verloren geht?

Gering. Eine Mutation ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Corona-Viren mutieren aber nicht besonders häufig. Deswegen würde ich die Gefahr, dass durch Mutationen des Coronavirus eine bestehende Immunität unterwandert wird, als sehr gering betrachten. Das Problem ist vielmehr, dass die aufgebaute Immunität gegen das neuartige Coronavirus nur relativ kurzlebig ist und von selbst verschwindet. 

Mehr dazu: Ist eine zweite Infektion mit dem Coronavirus möglich?

Im Bild Menschen in der Hohe Straße in Köln, wo aufgrund des engen Abstandes zwischen den Passanten Maskenpflicht gilt. Aufgenommen am 13.10.2020
Das Konzept der Herdenimmunität bezeichnet Thomas Kamradt als "steinzeitlich".Bild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/picture-alliance

Zu Beginn der Corona-Pandemie setzten einige Politiker und Experten auf die Herdenimmunität. Ist dieses Konzept inzwischen gescheitert?

Gescheitert wäre es nur, wenn es jemals vernünftig gewesen wäre. Für mich ist die Herdenimmunität ohne Impfung ein steinzeitliches Konzept. Einfach zu warten, bis sich so viele Menschen infiziert haben, dass die Gesellschaft geschützt ist, kann in diesem Fall nicht funktionieren - auch weil die Immunität gegen dieses Virus offenbar kurzlebig ist. Der einzige vernünftige Weg zu einer Herdenimmunität wäre eine sichere und effektive Impfung, die einen langlebigen Schutz bietet.

Was bedeutet diese Erkenntnis für die aktuelle Situation, in der die Infektionszahlen vielerorts rasant steigen, aber bisher noch kein Impfstoff bereitsteht?

Das bedeutet, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass das Virus erst einmal bleibt. Und dass wir die Maßnahmen, die wir kennen, konsequent durchhalten müssen: Hygiene, Abstand, Masken. Das sind im Moment die besten verfügbaren Schutzmaßnahmen, bis wir einen wirksamen und effektiven Impfstoff haben. Selbst wenn vielleicht Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres die ersten Impfstoffe zugelassen werden, vergeht noch viel Zeit, bis diese massenhaft verfügbar sind. Bis dahin müssen wir mit dem Virus leben.

Professor Thomas Kamradt ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie  sowie Direktor des Instituts für Immunologie an der Uniklinik Jena.  Zuvor studierte er Medizin an den Universitäten von Köln, Wien und Berlin und arbeitete im Anschluss u.a. an der Uniklinik Bonn, der Berliner Charité und dem Massachusetts Institute of Technology.

Das Interview führte Joscha Weber. 

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