Im Kino: Helmut Newton - The Bad and the Beautiful
7. Juli 2020"The Bad and the Beautiful" hieß ein berühmtes Melodrama von Vincente Minelli aus den 1950er Jahren. Es bot einen Blick hinter die Kulissen Hollywoods, erzählte Geschichten von Ruhm und Absturz, Glamour und Stars. Kirk Douglas und Lana Turner spielten die Hauptrollen. In Deutschland kam der Film unter dem Titel "Stadt der Illusionen" in die Kinos.
Wenn nun Regisseur Gero von Boehm seinem Film-Porträt über den weltbekannten Fotografen Helmut Newton eben diesen Titel "The Bad and the Beautiful" gegeben hat, dann ist das natürlich kein Zufall. Die Dokumentation erlaubt einen Blick hinter die Kulissen der Modewelt, zeigt die Welt der Reichen und Schönen - so, wie Newton sie vor die Kameralinse holte.
Helmut-Newton-Film: Weltpremiere am Potsdamer Platz
Die ursprüngliche Uraufführung beim Tribeca-Film-Festival in New York im April musste wegen Corona abgesagt werden. Nun feiert "Helmut Newton - The Bad and the Beautiful" am 8. Juli am Potsdamer Platz Welt-Premiere, bevor der Film einen Tag später in die Kinos kommt.
Der 1920 in Berlin geborene Newton, 2004 bei einem Autounfall in Los Angeles verstorben, verbrachte viel Zeit in Hollywood. Er liebte die US-Metropole an der Westküste, verbrachte in der "Stadt der Illusionen" jedes Jahr viele Monate. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Titel seines Films, wollten wir wissen. "Manches, was Helmut Newton uns zeigt, könnte ja Böse sein oder Böse gemeint sein", sagt von Boehm: "Er hat ja oft Geschichten erzählt, hinter denen Geheimnisse stecken, oder, wo man sich überlegen kann, dass da gerade was Schreckliches passiert ist. Das steckt in Bad."
Newtons Frauenakte standen in der Kritik
Aber da ist noch etwas anderes, was mit Bad gemeint ist - und das führt zum Streit um diesen Fotografen. Newtons Arbeiten waren zeitweise sehr umstritten. Sein Blick auf den Frauenkörper - Newton war in erster Linie Modefotograf - hat nicht allen gefallen. Vor allem auch, weil der Meister seine Modelle oft nackt vor der Kamera posieren ließ.
"Er war ja für viele natürlich ein Bad Boy oder ein Naughty Boy, wie seine Frau ihn immer genannt hat", erzählt von Boehm im DW-Gespräch: "Er war auf jeden Fall ein Anarchist. Vieles, was gerade in der Modefotografie galt, hat er völlig umgedreht und unterlaufen. Vielen galt er deshalb als bad."
Und "The Beautiful"? Da fällt die Antwort leichter. Damit seien die Frauen gemeint, die er für seinen Film befragt hat: Isabella Rossellini, Charlotte Rampling, Anna Wintour, Grace Jones, Nadja Auermann, Claudia Schiffer, Marianne Faithfull, nicht zu vergessen Newtons langjährige Ehefrau June Browne. Sie alle hat er vor die Filmkamera geholt, sie alle erinnern sich an den Fotografen, dessen Persönlichkeit und Arbeit.
Susan Sontag und Alice Schwarzer kritisierten Newton
Noch einmal zurück zu den heftigen Auseinandersetzungen, die um Newton phasenweise tobten. Das Frauenbild des Fotografen sei klischeehaft und manchmal erniedrigend - so lauteten die Vorwürfe. In den USA war Susan Sontag eine der prominentesten Kritikerinnen seiner Arbeit, das zeigt der Film. In Deutschland nahm wiederum Alice Schwarzer - die nicht im Film vorkommt - Newtons Aktbilder kritisch unter die Lupe.
Wäre die Arbeit eines solchen Fotografen, heute in Zeiten von #MeToo, überhaupt noch opportun? Fotos eines alten weißen Mannes, der junge nackte Frauen fotografiert? "Man muss Newton im Zusammenhang mit der Zeit sehen, in der diese Bilder entstanden sind", meint Gero von Boehm: "In den 1970er Jahren gab es die sexuelle Revolution, das war Newtons große Zeit, Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre: Der nackte Körper war kein Tabu mehr." Das sei parallel zu einer anderen Entwicklung geschehen: "Mit einer absoluten Revolution in der Modefotografie, auf die damals alle warteten."
Newton führte die Mode-Fotografie zu neuen Ufern
Gero von Boehm erinnert sich: "Damals war alles so schön lieblich, so harmlos, und natürlich auch toll mit Richard Avedon, Irving Penn, minimalistisch wunderbar ausgeleuchtet." Dann habe aber einfach etwas passieren müssen, "nämlich Provokation. Da waren eigentlich alle dafür." Wer hätte das besser bedienen können als Helmut Newton? "Er war dann der Gefragteste, mit der Art, wie er Frauen fotografiert hat", sagt von Boehm.
Man müsse "sich klar machen, dass die Frauen das ja alles freiwillig gemacht haben, die hat nie irgendjemand gezwungen, sich so fotografieren zu lassen", sagt der Regisseur. Für einige, so von Boehm, sei das auch ein Akt der Befreiung gewesen. Für die junge Charlotte Rampling etwa, die Newton 1973 fotografierte, sie damit auch berühmt machte: "Helmut hat mir eine immense innere Kraft gegeben, und, hätte er diese Bilder von mir auf dem Schreibtisch (Fotos von Rampling auf einem Tisch in erotischer Pose, A.d.R.) nicht gemacht, dann wäre meine ganze Karriere anders verlaufen", erzählt Rampling im Film. Ein Jahr nach den Fotos bekam die Schauspielerin die Rolle im Skandalfilm "Der Nachtportier" - es folgte eine Weltkarriere.
Marianne Faithfull: Akt-Fotografie als Akt der Befreiung
Von Boehm nennt auch die Sängerin Marianne Faithfull. Im Film erzählt diese, wie der Fotograf ihr neues Selbstvertrauen eingehaucht habe. Faithfull wurde streng katholisch erzogen. "Helmut Newton habe sie von der Prüderie befreit, die sie von katholischen Nonnen eingetrichtert bekommen hat", erzählt Faithfull.
Newton hat so manche Karriere gefördert. Auch, weil er die Frauen als starke Persönlichkeiten abgelichtet hat: "Er zeigt uns eben, dass Frauen, die so stark sind, eigentlich keine Haute-Couture brauchen. Sie sind auch nackt stark. Und das ist toll. Und noch toller, dass sie nackt da sitzen. Mit diesen Sachen hat er immer gespielt", so von Boehm.
Und da ist dann noch die Sache mit Leni Riefenstahl. Die Regisseurin, die während des Nationalsozialismus Propagandawerke drehte, prägte auch den Fotografen Helmut Newton. "Er hat das nie abgestritten - warum sollte er auch?", fragt von Boehm: "Er hat es bei mir zum ersten Mal gesagt (im aktuellen Film, A.d.R.), dass die Bilder von Leni Riefenstahl einen Einfluss hatten: die Art zu beleuchten, die Schatten, die Posen zum Teil. Das hat alles auf ihn gewirkt."
Helmut Newtons fotografisches Spiel mit den Geschlechtern
Doch auch solche Aussagen werden im Film wieder relativiert, was "The Bad and the Beautiful" auch gedankliche Tiefe verleiht. Denn die Folgerung, Helmut Newton (der ja Jude war), sei wie die Riefenstahl, führt natürlich in die Irre. Gero von Boehm zitiert im DW-Gespräch auch die Schauspielerin Isabella Rossellini, die Newton mehrfach fotografierte und die sich im Film auch kritisch über den Star-Fotografen äußert: Isabella Rossellini sagt: "Helmut Newton hat Frauen so fotografiert, wie Leni Riefenstahl Männer fotografiert hat. Da fließt das ganze ja wieder irgendwie zusammen. Er spielt ja auch immer mit Androgynem, mit Verschmelzungen zwischen Männern und Frauen. Er hat irgendwann mal gesagt, Männer haben genauso weibliche Anteile wie Frauen, er sah da eine gewisse Verschmelzung zwischen den Geschlechtern."
Insofern könnte man den Fotografen Helmut Newton auch als sehr visionären Künstler deuten. Heute, im Zeitalter der zunehmenden Geschlechtervielfalt und Genderdiskussion, wirken viele seiner Modelle modern - vereinen sie doch weibliche wie männliche Anteile.