Mehr Fahren mit weniger Technik
22. Januar 2003Die Auseinandersetzung um die Radikal-Reform in der Formel 1 ist mit einer Kompromisslösung vorerst beendet worden. Der Internationale Automobilverband (FIA) teilte am Dienstag (22.01.03) mit, dass das für Saisonbeginn geplante Verbot elektronischer Fahrhilfen wie Traktionskontrolle und Automatikgetriebe erst zur Jahreshälfte beim Großen Preis in Silverstone am 20. Juli gilt. Auch andere zunächst vorgesehene Regeländerungen wurden teilweise abgemildert. So ist unter anderem der Boxenfunk zumindest eingeschränkt auch weiterhin erlaubt.
Empörung der Techniker
Der Aufschrei der Cheftechniker bei Bekanntgabe der Reformen im Motorsport vor wenigen Tagen war verständlich. Sie sind allzu selbstverliebt in die technischen Raffinessen, die sie über Jahre hinweg bis zur Perfektion entwickelt haben. Doch eine Blitzumfrage unter den F1-Kunden und Zuschauern ergab, dass nur rund 25 Prozent die Regeländerungen missfielen. Groß war in der letzten Saison die Aufregung, als Rubens Barrichello beim Rennen in Österreich seinem Teamkollegen Michael Schumacher auf Funkbefehl des Ferrari-Renndirektors auf den letzten Metern noch den Sieg überlassen musste.
Funkverkehr - doch mit Lizenz zum Mithören
Erst sollte der Funkverkehr zwischen Fahrern und Teamleitung verboten werden, doch das ist nun auch vom Tisch. Doch Rennkommissare und Fernsehanstalten sollen künftig mithören können. Das erst in einem halben Jahr in Kraft tretende Verbot von technischen Hilfsmitteln wie Traktionskontrolle, Startautomatik und Automatikgetriebe wird dazu führen, dass das Können der Fahrers an Bedeutung gewinnt. Der Grand Prix am 20. Juli in Silverstone wird es zeigen.
Ebenfalls wettbewerbsfördernd ist die Begrenzung der Materialschlacht. Bislang war es so, dass kapitalstarke Rennställe mit extrem kostspieligen Extrabauten die besten Startpositionen eroberten. Im Rennen selber wurden diese nur für Kurzeinsätze hochgezüchteten Fahrzeuge jedoch nicht eingesetzt. Jedes Team soll künftig nur noch zwei Autos pro Rennwochenende einsetzen. Und das Auto, mit dem die Qualifikationszeit erzielt wurde, darf bis zum Rennen nicht mehr verändert werden. Damit wachsen die Chancen der Finanzschwächeren. Allerdings dürfen unter bestimmten Bedingungen auch künftig Ersatzautos eingesetzt werden.
Neues Ziel: Langlebigkeit
Neben den sofort umzusetzenden Reglement-Änderungen gibt es auch langfristige Vorgaben, die einerseits kostendämpfend wirken, andererseits den Bau von Formel-1-Flitzern wieder zu Vorreitern des gesamten Automobilbaus werden lassen. Im Jahre 2004 dürfen nur noch Standard-Bremsanlagen eingebaut werden. Weitere Komponenten müssen sich durch Langlebigkeit auszeichnen. Ab 2005 darf ein Motor erst nach zwei Grand-Prix-Wochenenden ausgetauscht werden, ein Jahr später müssen die Motoren sogar sechs Rennen halten.
Weltmeister Michael Schumacher kritisiert die Abschaltung des Rennfunks, weil er so nicht vor Gefahren etwa durch eine Ölspur oder durch einen Unfall hinter der nächsten Kurve gewarnt werden kann. Grundsätzlich nimmt er die Regeländerungen gelassen. Vom Fahrer würde nun wesentlich mehr Fingerspitzengefühl verlangt. Aber daran hätte es ihm nie gefehlt, meinte Schumacher.
Es war jedoch nicht die pure Einsicht in die Förderung von mehr Wettbewerb und größerer sportlicher Herausforderung, die der Formel 1 die radikalsten Regeländerungen der letzten Jahrzehnte bescherte. Denkbar ist, dass das von der Europäischen Union ausgesprochenes Werbeverbot der Auslöser ist. Zukünftig wird die Formel 1 auf Hunderte Millionen Euro, bislang erzielt durch die Tabakwerbung, verzichten müssen. Daraufhin hatte die Formel 1 sogar mit dem Gedanken gespielt, Europa den Rücken zu kehren. Das aber kann sie nicht. Denn letztlich ist Europa, was die Zahl der Grand-Prix-Rennen, aber auch den Absatz von Fahrzeugen für die Normalverbraucher anbetrifft, ihr größter Markt. Sparen kann also auch der Formel 1 gut tun, vor allem dann, wenn sich aus Not Kreatives entwickelt.