Mehr Fläche für die Kunst
29. Januar 2010In einer Rekordzeit von nur zwei Jahren hat Chipperfield eine elegante Stahl-Glas-Konstruktion realisiert, die nun mit dem denkmalgeschützten Altbau des traditionsreichen Museums ein Ensemble bildet. Die Stiftung Alfried Krupp von Bohlen und Halbach hatte dem Haus 55 Millionen Euro für diesen neuen Bau spendiert, damit die bedeutende Kunstsammlung endlich mehr Raum bekommt.
Weitläufigkeit und Transparenz
Chipperfield hat ein Ensemble von sechs Baukörpern geschaffen, die durch begrünte Innenhöfe und Wandelhallen miteinander verbunden sind. Das erzeugt eine überaus angenehme Weitläufigkeit und Transparenz. Mann kann gelassen von einem Ausstellungsraum zum nächsten flanieren, alles befindet sich auf einer Etage, die Übergänge sind fließend, Glasfronten ermöglichen Blicke in die städtische Umgebung. Und doch vermittelt die Architektur genug Ruhe, um sich in die Kunst zu vertiefen. Museumsdirektor Hartwig Fischer freut sich über mehr als doppelt so viel Ausstellungsfläche wie vorher: "Das Museum Folkwang hat viele, viele Jahre bedeutende Teile seiner Sammlung nicht zeigen können. Das war für uns sehr schmerzlich und sehr frustrierend."
Das Zentrum des neuen Hauses ist eine Abfolge ineinander verschachtelter großer Räume, in denen amerikanische und europäische Malerei in einen spannungsreichen Dialog gebracht wird: Ein Wolkenbild von Gerhard Richter vis à vis der Farbfeldmalerei von Blinky Palermo, ein Siebdruck von Andy Warhol gegenüber von Josef Albers Huldigung ans Quadrat. Diese Werke entstanden alle zwischen 1945 und 1980. Um diese Räume herum sind die neuesten Erwerbungen aktueller Werke gruppiert.
Dialog der Kulturen
Dazu gehört eine Rauminstallation des mehrfachen documenta-Teilnehmers Lothar Baumgarten, in der er sich intensiv mit den Gebräuchen der Yãnomãmi beschäftigt, einem Volksstamm aus dem Grenzland zwischen Brasilien und Venezuela. Hartwig Fischer hat diese Arbeit für das Museum erworben, weil hier die Begegnung zwischen Kulturen eine entscheidende Rolle spielt. Das Museum Folkwang war das erste Museum, das 1912 Werke der europäischen Malerei neben Stammeskunst aus Afrika und Papuaneuguinea gezeigt hat. Diese Tradition möchte Fischer wieder beleben, indem das Museum mit zeitgenössischen Künstlern zusammenarbeitet, für die die Beschäftigung mit anderen Kulturen eine Rolle spielt.
Doch auch generell soll im Neubau die Folkwang-Tradition wach gehalten werden, die der Kunstsammler Karl Ernst Osthaus im Jahr 1902 begründete: Osthaus war der Erste in Deutschland, der die Wegbereiter der Moderne von Cézanne über van Gogh bis hin zu Matisse und Monet ausstellte. Seine weltberühmte Sammlung kam 1921 nach Essen, wurde jedoch 1933 von den Nationalsozialisten als "entartet" bezeichnet, beschlagnahmt und auseinandergerissen. Nach dem Krieg mussten die Essener die Sammlung der Klassischen Moderne mühsam wieder aufbauen. Im Neubau allerdings sucht man diese Werke noch vergeblich. Denn mit der Einweihung des Neubaus ist nicht das ganze Museum Folkwang wieder eröffnet. Der denkmalgeschützte Altbau wird saniert, erst im März wird die Kunst des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hier wieder einziehen.
Highlight Fotografie
Im Neubau findt sich neben der zeitgenössischen Kunst seit 1945 ebenfalls Fotografie, Plakate, Zeichnungen und Grafik. Auch das sind wichtige Bereiche der Folkwangsammlung, wobei der Fotografie eine zentrale Rolle zukommt. Sie gehöre, so Fischer, zur "Identität des Museums", das ohne Zweifel eine der wichtigsten Fotosammlungen in Deutschland besitzt. Die aktuelle Ausstellung zur Eröffnung des Neubaus ist auch ein wirkliches Highlight: Porträtfotografie vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Wie sich hier der Wandel des Menschenbildes dokumentiert, das ist einzigartig.
Autorin: Christel Wester
Redaktion: Marlis Schaum