Streit um neues Geheimdienst-Gesetz
9. April 2014Nach dem klaren Wahlsieg bei den Kommunalwahlen (30.03.2014) will die türkische Regierung nun ein neues innenpolitisches Thema in Angriff nehmen: Die Reform der Stellung des türkischen Geheimdienstes (MIT) innerhalb des Staatsapparates. Hierzu hat die AKP-Regierung bereits Mitte Februar einen Gesetzesentwurf ins Parlament eingebracht. Kritikern zufolge soll die Reform die Macht des Geheimdienstes vergrößern und ihm mehr Unabhängigkeit von der Justiz verschaffen. Dadurch wird eine Gefährdung des Prinzips der Gewaltenteilung befürchtet. Laut der türkischen Zeitung "Hürriyet" habe der türkische Präsident Abdullah Gül die Regierung bereits dazu aufgefordert, den Gesetzesentwurf zu überarbeiten. Laut AKP soll das Gesetz schließlich Ende Juni das Parlament passieren.
Die türkische Regierung ist seit dem 17. Dezember in einen schweren Korruptionsskandal verwickelt. In den letzten Wochen geriet dann auch Premierminister Recep Tayyip Erdogan immer mehr in den Mittelpunkt der Kritik. "Der Gesetzesentwurf ist ein erneuter Versuch der Regierung, gegen die Korruptionsvorwürfe vorzugehen", so Engin Altay, Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP. Die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) bezeichnet den Gesetzesentwurf als "Skandal" und geht sogar so weit, der AKP-Regierung zu unterstellen, die Türkei in einen "Mukhabarat-Staat" nach arabischem Muster verwandeln zu wollen. Ein Staat also, in dem allein der Sicherheitsapparat der Regierung das Sagen hat.
Auch die demokratische Partei der Völker (HDP), die als Kurden-nah gilt, spart nicht mit Kritik und beißender Ironie: "Da wir nun schon wissen, dass der Premier die Position des Bürgermeisters, des Justizministers und des Oberstaatsanwalts eingenommen hat, ist es nachvollziehbar, dass er auch Chef des Geheimdienstes sein möchte. Das Gesetz wird ganz sicher danach ausgerichtet sein", sagte der HDP-Vorsitzende Ertugrul Kürkcü in einem Interview mit der auflagestarken Tageszeitung "Hürriyet".
Entwurf ist "besorgniserregend"
Der Gesetzesentwurf in der jetzigen Form werde dem türkischen Geheimdienst mehr Unabhängigkeit von der Justiz verschaffen, so der Verfassungsrechtler Lami Bertan Tokuzlu im DW-Gespräch. "Wenn sich eine Klage gegen die Arbeit des Geheimdienstes richtet, dann muss zuerst der Geheimdienst konsultiert werden. Wenn der Geheimdienst entscheidet, dass die Klage mit seinem eigenen Zuständigkeitsbereich kollidiert, dann wird es keine Strafverfolgung geben. Damit kann die Arbeit des Geheimdienstes vor Gericht nicht mehr in Frage gestellt werden. Das ist sehr besorgniserregend", so Tokuzlu.
Ein anderer kritischer Punkt des Gesetzesentwurfs sei der vorgesehene Zugang zu geheimen Daten und Informationen durch den Geheimdienst, sagt er. "Der neue Entwurf erlaubt dem Geheimdienst jeglichen Zugriff auf private Daten und Bankinformationen", so Tokuzlu. Dieser Punkt widerspreche dem Artikel 20 der türkischen Verfassung, der das Recht auf Privatsphäre regele, erklärt der Verfassungsrechtler. Natürlich sei der Zugang des Geheimdienstes zu bestimmten Informationen notwendig, wenn es der Sicherheit diene, so Tokuzlu. "Doch laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte muss das Gesetz auch Regelungen beinhalten, die den Missbrauch der Daten bekämpfen. Doch in diesem Fall gibt es diese Regelungen nicht. Der Geheimdienst bekommt dadurch fast uneingeschränkte Macht", so Tokuzlu.
Bisher habe die Polizei und der Geheimdienst eine Erlaubnis der Staatsanwaltschaft benötigt, wenn es um das Sammeln von Informationen ging. "Laut türkischen Medien habe der Geheimdienst solche Informationen zwar bereits in der Vergangenheit gesammelt. Doch das hat er illegal getan. Jetzt bekommt er eine gesetzliche Grundlage für sein Handeln. Das ist nicht akzeptabel", so Tokuzlu.
"Geheimdienste dürfen nicht über dem Gesetz stehen"
Auch Ümit Özdag zeigt sich besorgt. Der Politikwissenschaftler unterrichtete viele Jahre an der türkischen Kriegsschule, der Polizeiakademie und an der Akademie für Nationale Sicherheit, in der Geheimdienstagenten ausgebildet werden. "Hinter diesem neuen Gesetz steht der Versuch, den Geheimdienst der Kontrolle durch die Justiz zu entziehen. Dieses Gesetz ist ein weiterer Versuch der Regierung, Gesetzgebung und Justiz stärker zu kontrollieren", so Özdag im DW-Gespräch. Er erwartet, dass Teile des Gesetzes vom Verfassungsgericht gestrichen werden. In demokratischen Staatssystemen, zu denen sich die Türkei selbst zähle, stünden die Geheimdienste nicht über dem Gesetz, sagt der Politikwissenschaftler.
Als weiteren kritischen Punkt sieht Özdag das künftige Verhältnis zwischen der Presse und dem Geheimdienst. Dem ersten Gesetzentwurf zufolge drohten Journalisten bis zu zwölf Jahre Haft, wenn sie geheime Dokumente des Geheimdienstes veröffentlichen. Im aktuellen Gesetzestext wurde die Strafe auf neun Jahre herabgesetzt. "Nicht nur die Journalisten, sondern auch die Besitzer von Medienhäusern würden durch das neue Gesetz vor Gericht gestellt werden. Das zeigt doch ganz klar, wie die Pressefreiheit eingeschränkt wird. Nicht nur Journalisten, sondern ganze Medienhäuser werden bedroht", so Özdag.
Umgestaltung des Sicherheitssystems
Auch die externen Aufgabenbereiche würden durch das Gesetz erweitert, so Tokuzlu. "Es wird eine legale Grundlage geschaffen, durch die der Geheimdienst nun ganz offiziell mit der kurdischen PKK verhandeln darf", sagt er. Die Regierung versuche hier sehr deutlich die Verantwortung für den Friedensprozess von sich zu schieben, so der Politikwissenschaftler Ismet Akca von der Technischen Yildiz Universität in Istanbul. "Die Regierung sollte eigentlich die Verhandlungen mit der kurdischen PKK vornehmen, da es ein politisches Thema ist. Doch wenn die Regierung bestimmte Handlungen nicht öffentlich preisgeben will, dann schiebt sie, wie in diesem Fall, den Geheimdienst vor", so Akca im DW-Gespräch.
Die türkische Regierung misstraue momentan dem Polizeiapparat und der Justiz, so Akca. "Bevor die AKP regierte, stand das Militär im Zentrum der Autorität. Die AKP-Regierung kämpfte ständig dagegen an. Gemeinsam mit Erdogans altem Verbündeten Fethullah Gülen, wurde dann die Justiz und Polizei zum Zentrum der Autorität. Doch es stellte sich heraus, dass die Gülen-Bewegung innerhalb der Polizei und Justiz immer mächtiger wurde und sich zu Erdogans Rivalen entwickelte, erklärt Akca. Nun formiere Erdogan einen neuen türkischen Staat, in dem der Geheimdienst im Zentrum stehen soll. "Es ist eine Machtverschiebung innerhalb des Staatsapparats, durch die der Premier mehr Kontrolle gewinnt. Das ist der Hauptgrund für diesen Gesetzesentwurf", so Akca. Wenn die Macht des Geheimdienstes erhöht werde, werde gleichzeitig die Macht des Premiers erhöht, da der Geheimdienst direkt dem Premier unterstehe, sagt Politikwissenschaftler Ismet Akca.
Die AKP-Regierung strukturiere den türkischen Sicherheitsapparat mit Hilfe eines anti-demokratischen und parteizentrierten Ansatzes um, betont auch Özdag. "In der Türkei hat die Justiz immer die Möglichkeit gehabt, die Exekutive zu kontrollieren. Doch seit drei Monaten können wir durchaus sagen, dass es in der Türkei so etwas wie einen Rechtsstaat nicht mehr gibt", meint Ümit Özdag. Ganz im Gegenteil: Der Geist eines Überwachungsstaates sei entstanden, so der Experte.