Der Ball rollt wieder - die Fans leben auf
13. August 2015Der schwedische König Gustav VI. sah in den 1950er Jahren ein Auswärtsspiel von Schalke 04. Danach fragte er den Mannschaftskapitän, wo denn Schalke liege. Der Kapitän antwortete: "Bei Gelsenkirchen." "Und wo ist Gelsenkirchen?" fragte der König weiter. "Bei Schalke natürlich."
Diese Anekdote zeigt die Wichtigkeit des Vereins für die Region. Um die königliche Frage zu beantworten: Gelsenkirchen liegt auf halber Strecke zwischen Dortmund und Duisburg im Ruhrgebiet. Man könnte sagen, dass das ganze Ruhrgebiet zur Einflusssphäre von Schalke gehört, dem zweitgrößten Fußballverein Deutschlands mit über 130.000 Mitgliedern.
Absolute Treue
"Die Zahl der Fans geht aber in die Millionen", sagt mein Kollege und Vereinsmitglied Dirk: "Man kann sich seinen Verein nicht aussuchen, der wird einem mit der Familie vererbt." Das heißt: einmal Schalke, immer Schalke. Fremdgehen geht nicht im Fußball.
Für Dirk gibt es ein Berufsleben, ein Privatleben und ein Leben als Fußballfan. Bis Mai 2016 wird er 34 Bundesliga-Spiele mit Schalke-Beteiligung und weitere Spiele auf nationaler und europäischer Ebene verfolgen. Seine Dauerkarte berechtigt ihn zu 17 Heimspielen in der Gelsenkirchener Veltins-Arena. Rund 800 Euro im Jahr gibt er für Stadion-Besuche aus. Bier und Wurst sind nicht inbegriffen. "Fußballfans sind abergläubische Menschen. Die Erfahrung lehrt, dass die eigene Mannschaft verliert, wenn man vor dem Spiel nicht mit Freunden Bier und Wurst konsumiert hat." Von solchen Fan-Weisheiten ist Dirk überzeugt.
Von Frust bis Depression
Aber selbst wenn die Fans alles richtig machen, ist das noch keine Garantie für eine gute Performance der Mannschaft. So ließen die Schalke-Fans Mitte Mai im Spiel gegen den Abstiegskandidaten Paderborn ihrer Wut freien Lauf, indem sie dem Spielfeld den Rücken zeigten. Dirk war bei diesem gespenstigen Spiel dabei: "Fußball lebt von der Unterstützung der Fans. Wenn sie sich umdrehen und ruhig bleiben, dann macht das keinen Spaß mehr."
Immerhin hat es die Mannschaft in Königsblau in der vergangenen Saison auf den 7. Platz geschafft. Mehr Nervenkostüm haben die Fans des 1. FC Köln nötig, deren Verein in der jüngsten Vergangenheit mehrmals abgestiegen ist. Deshalb schwelgt Ralf W. gerne in Erinnerungen, als Köln 1978 deutscher Meister und Pokalsieger wurde. Damals reichte für die FC-Fans ein verlorenes Spiel, um für eine ganze Woche in Depression zu verfallen. Inzwischen habe man sich an schlechte Spiele gewöhnt.
Alle anderen Vereine sind doof
Aber auch das Leiden wirkt identitätsstiftend. Und das Lästern über andere Vereine. So hält Ralf wenig von Schalke 04: "Der Verein hat kein Charisma." Was sagt der Schalke-Fan dazu? "Ich persönlich als Schalker kann das nicht nachvollziehen", so Dirk. Über das Spielniveau der Kölner äußert er sich nicht: "Da schweigt des Sängers Höflichkeit."
Jeder redet schlecht über den anderen. Und alle gemeinsam hassen Bayern München, weil der Verein den anderen die besten Spieler abkauft. Die astronomischen Ablösesummen empfinden die Fans als Wettbewerbsverzerrung. Doch die Millionenumsätze hindern die Fans nicht daran, dem Fußball weiterhin die Treue zu halten.
Arme fußballverrückte Chinesen
Für die heutigen Menschen ist Fußball so etwas wie der Gladiatorenkampf für die Römer. Er lenkt vom Alltag ab. Den Alltag stellen chinesische Fußballliebhaber sogar auf den Kopf, um sich die deutschen, britischen oder spanischen Liga-Spiele anzuschauen. Denn durch den Zeitunterschied müssen sie oft die Nacht zum Tag machen. Das ist übrigens die größte Tragödie für China, dass sich bisher unter den 1,4 Milliarden Menschen noch keine elf Männer finden ließen, die auf einer Fußball-WM glänzen. So mussten sich die fußballverrückten Chinesen während der WM 2014 entweder mit Deutschland oder mit Argentinien identifizieren. Wer Müller, Götze & Co den Daumen hielt, trank dabei selbstverständlich deutsches Bier. Im Idealfall teilte der Chef dieselbe Vorliebe und hatte Verständnis für jede Verspätung oder Krankmeldung.
Es ist derselbe Adrenalin-Überschuss, der chinesische Fans bereits am frühen Morgen zum Alkoholkonsum verführt und deutsche Fans dazu antreibt, ihr Leben nach der Bundesliga-Saison zu richten. So kommt für Dirk nicht in Frage, während der Saison langen Urlaub zu nehmen. In der ligafreien Zeit versucht er, ein unauffälliges normales Leben zu führen. Nun reibt er sich aber die Hände und fiebert dem Saisonbeginn entgegen. "Die Spannung steigt", strahlt er übers ganze Gesicht.
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.