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Gesellschaft

Der deutsche Pass im Sonderangebot

Zhang Danhong
2. Februar 2018

Früher kostete es enorme Anstrengungen, deutsch zu werden. Heute ist es viel leichter, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Das empfindet zumindest Kolumnistin Zhang Danhong. Und gar nicht jedem ist das recht.

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Deutscher Reisepass
Bild: picture-alliance/dpa/R. B. Fishman

Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht macht in Bayern ein chinesisches Ehepaar ratlos. Es hat vor kurzem sein zweites Kind bekommen, und weil es hier geboren wurde und mindestens ein Elternteil unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat, ist es jetzt automatisch deutsch. Aus der Sicht der Eltern aber eher zwangsweise.

Schon ihr erstes Kind kam in Deutschland zur Welt. Damals hatten die Eltern, die beide eine Festanstellung bei einer deutschen Firma haben und dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen, die Entscheidung über die Staatsangehörigkeit ihres Nachwuchses jedoch noch selbst in der Hand. Sie fiel zugunsten der chinesischen Staatsbürgerschaft. Schließlich haben die beiden vor, irgendwann nach China zurückzukehren. Dass alle Familienmitglieder dieselbe Staatsbürgerschaft besitzen, ist mehr als pragmatisch. Reisen sie in ein anderes Land, müssen entweder alle ein Visum beantragen oder keiner braucht eines. Bei gemischten Pässen wird das kompliziert, vor allem wenn einer davon der chinesische ist. Dann ist nämlich ein Visum für fast alle Länder obligatorisch. Und die Kompensation, dafür jederzeit nach China einreisen zu können, fällt auch weg. Genau vor diesem Durcheinander steht nun die Familie, die jetzt aus drei Chinesen und einer Deutschen besteht.

Zhang Danhong
DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V.Glasow/V.Vahlefeld

Ich habe noch andere Zeiten kennengelernt, in denen im deutschen Recht das Abstammungsprinzip galt. So wurde meiner Tochter durch ihren deutschen Vater die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch zuerkannt. Ich als Chinesin wurde so zur Minderheit in der Familie. Bald beantragte auch ich den deutschen Pass, um die familiäre Einheit der Papiere zu verwirklichen. Natürlich war das nicht das einzige Motiv - auch den Umgang mit den unfreundlichen Mitarbeitern bei der Ausländerbehörde wollte ich ein für alle Mal beenden.

Er war schon mal wertvoller

Damals waren die Hürden für eine Einbürgerung viel höher als heute. Entweder musste man acht Jahre Steuern gezahlt haben oder fünf Jahre lang ununterbrochen mit einem Deutschen oder einer Deutschen verheiratet gewesen sein. Die Betonung lag bei "ununterbrochen". Mir erschien damals eine Ehe von solcher Dauer utopisch. Das Kriterium mit den Steuern hatte ich jedoch bereits vor Geburt meiner Tochter übererfüllt. Das ganze Vorhaben entpuppte sich aber als ein kostspieliges Unterfangen. Wenn ich mich recht erinnere, musste ich ein ganzes Monatsgehalt für das bordeauxrote Heftchen hinblättern. Gleichzeitig wurde mein roter chinesischer Pass durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Das tat mir schon weh.

Seither wurden die Hürden für die Einbürgerung immer weiter gesenkt. Die doppelte Staatsbürgerschaft gilt für immer mehr Menschen, ihre Wirkung hinsichtlich einer wirklichen Integration darf jedoch stark bezweifelt werden. Zudem muss man nicht mehr in Vorleistung für das Gemeinwesen gehen. Es reicht, wenn sich der Antragsteller acht Jahre rechtmäßig in Deutschland aufgehalten hat und zum Zeitpunkt der Antragsstellung selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommt. Indirekt wird damit ja zugegeben, dass sich jede Menge Menschen illegal hier aufhalten. Bei Flüchtlingen können die acht Jahre sogar noch verkürzt werden, wenn ihr Asylverfahren erfolgreich verlaufen ist.

Ist der Einbürgerungstest noch aktuell?

Immerhin werden den Antragstellern einige Deutschkenntnisse abverlangt, um beim Einbürgerungstest so schwierige Fragen zu beantworten wie: "Welches Recht gehört zu den Grundrechten in Deutschland? Waffengesetz, Faustrecht, Meinungsfreiheit oder Selbstjustiz" oder "Welche Lebensform ist in Deutschland nicht erlaubt?" Auch bei dieser Frage werden vier Antworten zur Wahl gestellt, von denen die richtige offensichtlich ist: "Ein Mann ist mit zwei Frauen zur selben Zeit verheiratet." Moment mal, ist das immer noch so? Hat der deutsche Staat nicht eben erst muslimischen Zweitfrauen als sogenannte "Härtefälle" eine Einreiseerlaubnis erteilt? Der Einbürgerungstest sollte schnell der sich verändernden Realität angepasst werden!

Einbürgerungstest
Mit einfachen Sprach- und Landeskenntnissen ist der Test zu schaffenBild: Imago/suedraumfoto

Zu guter Letzt muss der Einbürgerungswillige auch nicht mehr tief in die Tasche greifen. Statt ein Monatsgehalt kostet der ganze Spaß fixe 255 Euro, wobei das wieder typisch deutsch ist. Warum eine so krumme Zahl? Warum nicht runde 300 Euro? Wie setzt sich diese Summe zusammen? Das wäre mal eine eigene Recherche wert.

Die Hürden für die Einbürgerung spiegeln für mich auch die Selbsteinschätzung eines Staates wider. Dabei ist Deutschland so ein tolles Land, das seinen Pass nicht unter Wert anbieten muss. Den Eindruck hatte ich, als ich vor einigen Jahren die Meldung las, dass Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg, knapp 140.000 Migranten anschreiben wollte, um sie zu einer Einbürgerung zu bewegen. Von einem großen Erfolg dieser Aktion habe ich nicht gehört. Dabei wissen wir doch aus der Verkaufspsychologie, dass ein Gegenstand umso mehr Begierde erweckt, wenn er unter Glas in einer Vitrine liegt und nicht auf dem Ramschtisch.

Kein Vorwärts, kein Rückwärts

Natürlich gibt es Länder, die noch großzügiger mit ihrer Staatsbürgerschaft umgehen. In den USA beispielsweise wird man durch die Geburt im Land automatisch Amerikaner. Ein klassisches Einwanderungsland wie die USA ist Deutschland aber nicht. Und wenn der deutsche Staat sein Staatsbürgerschaftsrecht in so rasantem Tempo liberalisiert, wäre es nur fair, auch flexible Übergangslösungen anzubieten, für Fälle wie den des chinesischen Paares in Bayern. Denn es ist schon absurd, dass den beiden noch vor zwei Jahren für das erste Kind problemlos eine sogenannte "Negativbescheinigung" vom Ausländeramt ausgehändigt wurde, mit der sie beim chinesischen Konsulat die chinesische Staatsbürgerschaft beantragen konnten, ihnen nun aber diese Bescheinigung verwehrt wird. 

Natürlich muss man auch China vorwerfen, dass es nicht einmal den im Ausland geborenen Kindern chinesischer Eltern die doppelte Staatsangehörigkeit gewährt. Wahrscheinlich denkt die Regierung: Das Einzige, woran es in China nicht mangelt, sind Chinesen. Deswegen kann im Reich der Mitte ein Ausländer nur Chinese werden, wenn er entweder Millionen investiert oder Herausragendes für die Wissenschaft oder Kunst geleistet hat - sofern er nicht den klassischen Weg gewählt hat und mit einem Chinesen oder einer Chinesin die Ehe eingegangen ist.  

Das hilft der chinesischen Familie in Bayern mit ihrem Neugeborenen vorerst aber auch nicht weiter: Es gibt keinen chinesischen Pass für das Kind ohne die Negativbescheinigung! Und das deutsche Ausländeramt gibt nicht nach: "Es ist vom Gesetz nicht vorgesehen, sich gegen die deutsche Staatsbürgerschaft per Geburt zu wehren." Die Sachbearbeiterin versteht die Welt nicht mehr: "Jeder will einen deutschen Pass. Warum nur Sie nicht?" Vielleicht ja gerade deswegen.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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