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Mein Deutschland: Im Reich der Normalität

Zhang Danhong Kommentarbild App
Danhong Zhang
1. September 2016

Gewöhnlich beobachtet unsere Kolumnistin Zhang Danhong das deutsche Geschehen aus ihrer chinesischen Sicht. Nun ist sie im Heimaturlaub in China und nimmt die neue Normalität dort mit deutschen Augen wahr.

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Kolumne Zhang Peking
Bild: DW/D. Zhang

Früher mischte sich bei mir in die Vorfreude auf eine China-Reise auch ein Graus vor der immer stickigen Luft meiner Heimat. Für das zweistellige Wirtschaftswachstum über drei Jahrzehnte lang zahlten die Chinesen mit dem Preis ihrer Gesundheit. Ganz anders dieses Jahr. Smog ist eher die Ausnahme. An manchen Tagen ist der Himmel fast so blau wie in Deutschland (siehe Artikelbild). Was ist passiert? "Ganz einfach. Die Industrieproduktion in der Nähe von Peking hat nachgelassen", verrät mir ein alter Schulfreund.

Seit einiger Zeit schwört der chinesische Premierminister Li Keqiang seine Landsleute auf die neue Normalität ein, eine euphemistische Beschreibung für das verlangsamte Wachstum. Aber warum soll man sich für ein Wachstum von sechs Prozent schämen? Schließlich kann auch der chinesische Baum nicht in den Himmel wachsen, pflegt der bekannte China-Experte Eberhard Sandschneider zu sagen. Wenn die neue Normalität mir den Geruch des Pekinger Sommers aus meiner Kindheit zurückbringt, dann wünsche ich mir mehr davon.

Kolumne Zhang Restaurant Peking
In diesem Hof-Restaurant lässt sich fürstlich speisenBild: DW/D. Zhang

Tatsächlich ist die neue Normalität überall zu spüren. Zwar ist ein festliches Essen immer noch ein Muss für jedes Familien- oder Schulklassentreffen, aber es wird nicht mehr so protzig bestellt. Die Zeit des ungezügelten Fleischkonsums ist vorbei. In meiner Familie haben wir die erste Vegetarierin. Es sind eher die Jüngeren, die sich ein Leben ohne fleischliche Gelüste vorstellen können. Das tun sie allerdings nicht aus Tierliebe. Vegetarier sein ist eher Lifestyle.

Gut gefüllte Läden und Portmonnaies

Zum schicken Lifestyle gehört natürlich auch ein Apple-Gerät. Selbst an einem stinknormalen Wochentag sind die Apple-Stores in Peking gut besucht. Die Preise ähneln denen in Deutschland. Schon lange ist China nicht mehr Paradies für Schnäppchenjäger. Meine Kinder gehen in Peking shoppen, weil die angesagten Läden wie Hollister oder Forever 21 eher dort zu finden sind als in Köln.

China - Apple Store
Apple-Store im schicken Sanlitun-Shopping-CenterBild: DW/Zhang Danhong

Auch der Wohlstand ist zur Normalität geworden. Auf einem Familientreffen lerne ich ein Kindermädchen vom Lande kennen. Mit meiner Tochter tauscht es sich über die erste Fahrpraxis aus, denn die junge Frau ist seit Kurzem stolze Besitzerin eines Führerscheins und eines Autos. Ohne entsprechende Statistiken zu kennen, behaupte ich, dass die Porschedichte auf Pekings Straßen höher ist als hierzulande.

Handy als Allzweckwaffe

Apropos Pekings Straßen: Obwohl die Chinesen viel zivilisierter fahren als früher, ziehe ich es vor, Taxi zu nehmen, um meine Nerven im Urlaub nicht überzustrapazieren. Taxifahren ist zudem immer noch wesentlich preiswerter als in Deutschland, auch wenn die Taxen etwas schmuddelig sind und der Gast die Lieblingsradiosendung des Fahrers mithören muss. Doch auch da ändert sich etwas. Seit einiger Zeit macht ein Dienst namens Didi (chinesische Lautmalerei für Autofahren) der Taxibranche mächtig Konkurrenz. Du brauchst nur den gewünschten Zeitpunkt, die eigene Adresse und das Ziel per Handy durchzugeben. "Dein" Wagen kommt garantiert pünktlich und ist in einem gepflegteren und saubereren Zustand als die normalen Taxen. Der Mann hinter dem Steuer ist vielleicht Staatsbediensteter und verdient auf dem Weg nach Hause etwas dazu. Willkommen in der Share-economy.

Mit dem Handy ordern die Chinesen nicht nur den privaten Fahrdienst und begleichen die Rechnung, sie zahlen damit auch im Supermarkt und im Restaurant. Nach einem Festessen mit der alten Schulklasse übernimmt eine Freundin zuerst die Gesamtsumme per Handy, dann überweisen ihr (fast) alle den durch die Anzahl der Anwesenden dividierten Betrag über das Smartphone (wie denn sonst!). Bis auf mich und eine Beamtin vom Finanzministerium. "Nur die Ausländer und Beamte zahlen noch bar", scherzt einer. "Habt Ihr kein Sicherheitsbedenken?" frage ich in die Runde. "Du bist so deutsch geworden. Was kann schon passieren?" lacht ein anderer.

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DW-Redakteurin Zhang Danhong

Chinesen sind aufgeschlossener gegenüber technischen Errungenschaften als die Deutschen, das habe ich schon immer festgestellt. Nun werden sie auch in ihrem Wesen offener. Sie trauen sich sogar, vor laufender Kamera Liebeserklärungen abzugeben. Die Bilder von der sympathischen Wasserspringerin, die bei den Olympischen Spielen in Rio zuerst eine Silbermedaille um den Hals gehängt und dann noch während der Siegerehrung einen Heiratsantrag von ihrem Freund bekam, gingen um die Welt.

Und abenteuerlustiger sind die Chinesen geworden. Sie reisen auf eigene Faust durch die Weltgeschichte, ohne ein Wort Englisch zu verstehen. Das muss nicht schiefgehen. Es sei denn, man gerät in den Strudel der deutschen Willkommenskultur und landet in einem Flüchtlingsheim. So ist es einem Chinesen ergangen, der in Stuttgart einen Diebstahl melden wollte und irrtümlicherweise einen Asylantrag unterschrieben hatte. Die Geschichte macht in China die Runde. "Ihr Deutschen habt einen Knall und wollt jeden aufnehmen" - dieser Satz verfolgt mich während des ganzen China-Aufenthalts.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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