Mein Deutschland: Reaktionen und neue Einsichten
17. Dezember 2015Gute Kolumnisten sind hierzulande keine Mangelware. Harald Martenstein, Tillmann Prüfer, Max Otte und Martin Hüfner sind meine persönlichen Favoriten. Um als Nichtmuttersprachlerin in dieser journalistischen Königsdisziplin mitzumischen, braucht man eine gute Portion Mut. Zu dieser Erkenntnis gelangte ich aber erst, nachdem ich mit dem Abenteuer begonnen hatte. Also hatte ich keine andere Wahl, als mich auf die ständige Suche nach originellen Themen und ausgefeilten Formulierungen zu begeben und mich geistig auf harsche Kritik vorzubereiten.
Die ließ nicht lange auf sich warten. Eine Welle der Entrüstung löste meine Lästerei über das Deutsch der Deutschen unter den in Deutschland lebenden Chinesen aus. "Wie vermessen von Ihnen, die Deutschen im Umgang mit der eigenen Sprache zu kritisieren", "Ihre Kritik zeigt Ihr eingeschränktes Sprachverständnis", "Meine deutschen Nachbarn verwenden das Wort 'tun' ständig als Hilfsverb, also kann es so schlimm nicht sein", waren noch die freundlichen Kommentare. Einer listete Beispiele auf, die vom schlampigen Umgang der Chinesen mit der chinesischen Sprache zeugen. Genügt das Argument, die Chinesen seien auch nicht besser, um Kritik an manchen Deutschen zu verbieten?
Ungewöhnlicher Umgang mit Kritik und Lob
Im Gegensatz zu den Chinesen, die eigentlich gar nicht gemeint waren, haben die deutschen Leser ausgesprochen gelassen reagiert. Ein Bekannter schrieb mir: "Wo Du recht hast, hast Du recht, und tust gut daran, es kund zu tun."
Die Deutschen sind schon ein besonderes Volk. Während sie Kritik vielfach widerspruchslos annehmen, wird so manches Lob entschieden zurückgewiesen. "Ihre indirekte Lobeshymne (gesungen durch die chinesische Künstlerin) auf die deutschen Männer hat zwar mit der Wirklichkeit nichts zu tun (ich spreche aus eigener Erfahrung), aber es ist ja immer gut, sich an einem Ideal zu orientieren, um sich zu bessern", beichtete mir ein User in einer Email.
Von den Lesern lernen
Allgemeine Zustimmung fand mein Plädoyer fürs Auswendiglernen. Monika Twelsiek, Professorin für Klavierpädagogik an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, zieht Parallelen zur Musikwelt: "Wirklich verstanden hat man ein Stück erst, wenn man es auswendig spielen kann. Dazu gehören aber eine hohe Konzentrationsfähigkeit, ein gutes Gehör, ein gutes Bewegungsgedächtnis, bei den komplexen Klavierstücken je nach Werk auch eine hohe Intelligenz. In der Aufführungssituation müssen dann noch gute Nerven dazu kommen." Das Auswendiglernen von Gedichten und das auswendige Spielen von Musikstücken hängen ihrer Meinung nach eng zusammen. "Auch Gedichte haben einen Rhythmus, haben Betonungen und eine innere Dramatik."
Von meinen Lesern habe ich viel gelernt, zum Beispiel zwei weitere Zitate über Juristen vom Kieler Ökonom Rolf Langhammer: "Ein guter Rechtsverdreher ist seinen Zaster wert" (von Al Capone, der größte Mafiosi, den die USA je gesehen haben) und "Jurist wird man nicht, Juristen hält man sich" (vom Unternehmenstycoon Friedrich Flick).
Vergleich mit China ist kein Muss
Genug der Gehässigkeiten. Die Juristen-Kolumne gehört übrigens zu den wenigen Texten, bei denen ich keine Brücke zu China geschlagen habe. Manche denken, der Vergleich mit China ist Teil des Konzepts. Ist er aber nicht. Ein User war enttäuscht nach der Lektüre der "nackten Tatsachen". Nicht, weil im Text nichts Sexuelles geboten wurde, sondern weil er nichts über die chinesischen Mehrwertsteuersätze erfahren hat. Das ist auch ein spannendes Thema, aber eben ein völlig anderes.
Ich kann so viel verraten, dass auch dort der Versuch unternommen wird, durch unterschiedliche Mehrwertsteuersätze eine steuernde Politik zu machen. So wurden beispielsweise zur Flankierung der Ein-Kind-Politik Kondome mit Null-Prozent besteuert. Wegen der Überalterung der Gesellschaft und des drohenden Fachkräftemangels wurde diese Politik vor Kurzem abgeschafft. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis der Verbrauch der Verhütungsmittel mit dem höchsten Mehrwertsteuersatz bestraft wird.
Das Interesse an China steigt. Von einer Chinesin möchte man doch irgend etwas über das Riesenreich erfahren, auch wenn ihre Kolumne "Mein Deutschland" heißt. Deswegen werde ich auch im kommenden Jahr versuchen, diese Neugierde zu stillen. So werde ich gleich im Januar der Frage nachgehen, warum die Deutschen verrückt nach chinesischer Medizin sind und die Chinesen umgekehrt.
Schenken und helfen
Vorher habe ich noch einen Geschenktipp für Sie. Klaus Reh aus Troisdorf schreibt: "Zum Lesen verführen kann man ganz gewiss durch hartnäckiges Bücher-Schenken. Ich habe noch eine weitere Methode, die bei meinen Enkeln funktioniert hat: Kinder-Hörbücher schenken. Die Hörbücher kommen der Elektronik-Medien-Lust der Kinder nach und führen dazu, dass die Kinder den Einstieg ins Selberlesen interessant finden."
Die vorweihnachtliche Zeit ist die Zeit der Hilfsbereitschaft. Das habe ich vergangene Woche thematisiert. Volkmar Hansen, Germanistikprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, vermisst darin ein Wort - Barmherzigkeit: "Es gibt im Neuen Testament eine Erzählung vom barmherzigen Samariter, die mit zu den Kinder- und Jugenderzählungen aller Christen gehört", schreibt er mir. Ein Mensch sei überfallen worden und liege halbtot am Wegrand, ein Priester und ein Levit lassen ihn liegen. Ein Samariter versorge ihn, bringe ihn in ein Gasthaus und gebe dem Wirt Geld zu seiner Pflege. "Jesus fragt, welcher denn recht gehandelt habe und bestätigt die Handlung der Barmherzigkeit als höherrangig. Gibt es ein Adjektiv, das für den christlichen Gott zutrifft, dann ist er der barmherzige Gott."
Das ist ein wunderbarer Schluss für meine letzte Kolumne im Jahr 2015. Ihnen wünsche ich ein entspanntes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
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