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Politik

Die Rechtspopulisten haben die Wahlen schon gewonnen

Krsto Lazarevic
15. September 2017

Die EU macht die Grenzen dicht und verlagert Menschenrechtsverletzungen an libysche Milizen und afrikanische Diktatoren. Damit entfernt sich Europa von den eigenen Wertvorstellungen, meint Krsto Lazarevic.

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Krsto Lazarevic
Bild: Privat

In Deutschland und Österreich stehen Wahlen bevor und auch in Italien ist es nicht mehr lange hin. Wie auch immer sie ausgehen, in Berlin, Wien und Rom sind die Rechtspopulisten jetzt schon irgendwie an der Macht. Dafür müssen sie überhaupt nicht mitregieren. Aus Angst, Wähler an den rechten Rand zu verlieren, haben die etablierten Parteien längst begonnen, den Rechtspopulisten nach dem Mund zu reden. Wie weit die Debatte in Deutschland inzwischen nach rechts gerückt ist, zeigt sich an einer Frage aus dem von der Bundeszentrale für politische Bildung erstellten Wahlomat, der Wählern bei der Wahlentscheidung helfen soll.

Dort steht "Der Völkermord an den europäischen Juden soll weiterhin zentraler Bestandteil der deutschen Erinnerungskultur sein." Dieser Aussage kann man zustimmen, sie ablehnen oder sich ihr gegenüber neutral verhalten. Schon wenige Monate nach der Forderung des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, es müsse eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" geben, darf in Deutschland nun also ergebnissoffen über Ausschwitz diskutiert werden. Das ist ein großer Erfolg für den rechtsextremen Flügel einer Partei, die noch nicht einmal im Bundestag sitzt.

Die AfD sitzt auch in den Köpfen mancher Talkshowmoderatoren. Beim TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz waren die großen Themen nicht etwa soziale Gerechtigkeit, Bildung und prekäre Arbeitsverhältnisse, sondern mal wieder die Flüchtlingspolitik. Wir sollten Angela Merkel auf Knien dafür danken, dass sie sich einer Fortsetzung des Trauerspiels eines zweiten TV-Duells verweigert.

Lybische Milizen als EU-Grenzschutz

In Italien ist es nicht besser. Italienische Behörden begannen vor einigen Monaten die Arbeit der NGOs zu verhindern, die im Mittelmeer Menschenleben retten. Staatsanwälte aus sizilianischen Provinzstädten warfen den NGOs vor, mit Schleppern zusammenzuarbeiten. Ein Vorwurf den rechte und konservative Kräfte in Italien, Deutschland und Österreich dankbar aufnahmen. Stichhaltige Beweise fehlen bis heute, aber egal: Irgendwas bleibt immer hängen.

Italien Flüchtlinge werden von Hilfsorganisation Sea-Eye gerettet
"Menschenrechte oder Abschottung? Beides geht nicht!"Bild: picture alliance/dpa/NurPhoto/C. Marquardt

Inzwischen kommen nur noch wenige Flüchtlinge aus Libyen in Italien an. Dies ist dem italienischen Innenminister Marco Minniti zu verdanken, der die Arbeit der Seenotretter erschwerte, sich mit fragwürdigen Milizen arrangierte und eine intensive Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache verfolgt. Wer wissen möchte, wie eine Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache aussehen kann, sollte die Seenotretter der NGO Sea-Watch fragen. In der Nacht vom 20 auf den 21. Oktober wollten die Aktivisten Menschen in Seenot aus internationalen Gewässern retten, bis ein Boot der libyschen Küstenwache die Aktion behinderte. An diesem Tag starben im Mittelmeer mehr als 20 Menschen, die nicht hätten ertrinken müssen.

Menschenrechte! Welche Menschenrechte?

Artikel 13, Absatz 2 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagt: "Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land zu jeder Zeit zu verlassen." Die Kooperation der EU mit der libyschen Küstenwache zielt genau auf das Gegenteil. Menschen sollen daran gehindert werden ein Bürgerkriegsgebiet zu verlassen, in deren Flüchtlingslagern es systematisch zu Exekutionen, Folter und Vergewaltigungen kommt. Die deutsche Botschaft in Nigers Hauptstadt Niamey berichtete dem Bundeskanzleramt von "KZ-ähnlichen Verhältnissen in den sogenannten Privatgefängnissen". Es steht den EU-Staaten frei ihre eigenen Asylgesetze zu regeln, aber Menschen davon abzuhalten, ein Bürgerkriegsland zu verlassen, lässt sich weder mit Anstand noch mit grundlegenden Menschenrechten vereinbaren.

Ähnlich verhält es sich mit den Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan: "Seht her, wir schieben auch Menschen in Bürgerkriegsländer ab. Dafür müsst ihr gar nicht die Rechtspopulisten wählen." In Afghanistan steigt die Zahl der Kampfhandlungen und der Opfer. Sichere Provinzen gibt es nicht. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière weiß das auch, weshalb er sich nur in schwerer Schutzausrüstung durchs Land traut.

Bei der SPD schämen sich manche wenigstens noch für die Abschiebepraxis. Am Dienstagabend sagte Kanzlerkandidat Martin Schulz im ZDF: "Meine Einschätzung ganz klar: Zurzeit kann niemand nach Afghanistan abgeschoben werden." Dumm nur, dass drei Stunden zuvor ein Abschiebeflug aus Düsseldorf nach Afghanistan startete, was ohne das SPD-geführte Außenministerium überhaupt nicht möglich wäre. Wenn der SPD-Kanzlerkandidat nach vier Jahren Regierungsbeteiligung der SPD suggeriert, seine Partei habe nicht mit den Abschiebungen nach Afghanistan zu tun, ist das wenig glaubwürdig.

Hauptsache, die Grenzen sind dicht

Menschenrechte oder Abschottung? Beides geht nicht und die EU und ihre Mitgliedstaaten haben sich gegen Menschenrechte entschieden. Um das rechtfertigen zu können, werden die Menschenrechtsverletzungen nun an die libysche Küstenwache und dortige Milizen verlagert. In Zukunft dürfen auch afrikanische Diktatoren dabei helfen, die Festung Europa auf den Nachbarkontinent zu outsourcen. Während gegen den sudanischen Diktator al-Baschir vor dem Internationalen Strafgerichtshof ein Haftbefehl wegen Völkermords vorliegt, ist sich die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) nicht zu schade dafür, Polizisten im Sudan auszubilden. Flüchtlinge, die in der Sahara verdursten oder in Libyen getötet werden interessieren die europäische Öffentlichkeit eben weniger als solche, die im Mittelmeer ertrinken.

Sudan Kassala Flüchtlingscamp
Schlechte Zustände in den Flüchtlingslagern in SudanBild: Reuters/M. N. Abdallah

Die Rechten haben die kommenden Wahlen in Europa schon gewonnen, ganz egal wie diese ausgehen. Menschenrechte und zivilisatorische Standards hat die EU durch die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, afrikanischen Diktatoren und Abschiebeflügen in Kriegsgebiete jetzt schon entsorgt. Wer versucht, Menschenleben im Mittelmeer zu retten, wird kriminalisiert, beschossen und als Schlepper beschimpft. Stören tun sich daran nur die wenigsten EU-Bürger. Hauptsache, die Grenzen sind dicht und es kommen keine neuen Flüchtlinge rein. Man kann so eine Politik schon machen, aber die Worte "Menschenrechte" und "Europäische Werte" sollte man dann nicht mehr in den Mund nehmen.

Krsto Lazarevic ist in Bosnien-Herzegowina geboren und floh als Kind mit seiner Familie nach Deutschland. Heute lebt er in Berlin und schreibt für verschiedene deutschsprachige Medien.