Mein Kunst-Stück
28. Januar 2007Ein Gebäude beeindruckte David Chipperfield besonders stark, als er 1981 zum ersten Mal nach Berlin kam: die Neue Nationalgalerie, der von Mies van der Rohe erbaute Tempel für die Kunst des 20. Jahrhunderts. "Dieses radikale Gebäude war ein Schock", erinnert sich der Architekt.
Eine radikale Vision
Chipperfields eigenes Büro baut jetzt die Berliner Museumsinsel um, aber zu diesem Pavillon der Moderne zieht es ihn immer wieder hin. "Das ist Mies van der Rohe in Reinform: Hier lässt er die Architektur fast verschwinden", urteilt der Londoner. Mehr als Stahl, Glas und Granit habe die Bauhaus-Legende für diese Vision von Klarheit, Offenheit und Präzision nicht gebraucht. "Jeder begreift sofort das Prinzip: Ein Riesendach, auf acht Stützen."
Die Funktion folgt der Form
Die 1968 erbaute Neue Nationalgalerie war das letzte Projekt, das der ehemalige Bauhaus-Direktor entwarf, dreißig Jahre nachdem er Nazi-Deutschland verlassen hatte und ein Jahr vor seinem Tod in Chicago. "Er wollte ein Museum ohne Mauern, die Barrieren abschaffen. Hier hat er diese Idee verwirklicht", erklärt Chipperfield die zwischen Innen und Außen fließenden Grenzen. Mies van der Rohe habe die Funktion des Glasbaus mit dem quadratischen Dach wie bei vielen anderen seiner Gebäude der Idee untergeordnet: "Was wir als 'Nationalgalerie' kennen, ist diese recht unbrauchbare Halle. Das eigentliche Museum befindet sich unten. Es ist also ein bisschen gemogelt." Die Kunst ist im Untergeschoss des Baus verborgen, einer Vision von Ordnung und Ruhe folgend, an der sich Architekten noch heute messen.
Ein modernes architektonisches Gedicht
"Wie ein Gedicht über moderne Architektur." So empfindet Mies van der Rohes Nachfolger das lichte Gebäude gegenüber Staatsbibliothek und Philharmonie an der Potsdamer Straße "Es altert nicht. Es kommt mir so frisch vor wie vor 25 Jahren, als ich es zum ersten Mal sah."