Ziemlich genau ein Jahr ist sie nun her, die Champions-League-Partie zwischen Atalanta Bergamo und dem FC Valencia. Damals waren Zehntausende im Stadion San Siro in Mailand live dabei, Einheimische wie auch Gästefans. Blöd nur, dass unter den Besuchern offenbar auch mit dem damals noch weitgehend unbekannten Coronavirus Infizierte waren. Seither gilt die Partie gemeinhin als die "partita zero", also das "Spiel null", als Brandbeschleuniger für die Pandemie in Südeuropa. Ob sie es tatsächlich war, ist wissenschaftlich umstritten, aber der Verdacht liegt nahe.
Nun zittert die Welt vor den Mutationen des Virus. Zwar gehen die Corona-Infektionen in vielen Ländern zurück, doch die neuen Virus-Varianten lassen für die meisten Wissenschaftler und auch Politiker nur einen Schluss zu: Der Lockdown muss verlängert werden. Schon seit Wochen gilt: Auf unnötige Reisen ist ebenso zu verzichten wie auf nicht unbedingt nötige Kontakte. Arbeitgeber werden, wo möglich, zum Homeoffice verpflichtet, Geschäfte und Restaurants sind geschlossen, Kultur- und Breitensport-Einrichtungen sowieso. Selbst die große Politik trifft sich meist nur online. Wer zurückkehrt aus einem Risikogebiet, der muss in Quarantäne, bis er sich "freitestet".
Für den Profisport hat die Regierung schon im vergangenen Mai, während des ersten Lockdowns in Deutschland, Ausnahmen geschaffen: Mit Test- und Hygienekonzepten durfte die Branche wieder loslegen, bis auf wenige temporäre Ausnahmen in leeren Stadien, teils abgeschirmt in sogenannten Blasen. Das hat alles mehr oder weniger gut funktioniert. Diverse Sportprofis haben sich trotz aller Vorkehrungen infiziert: Fußballer, Skispringer, Tennisspieler. Es zeigte sich bald: Die totale Sicherheit gibt es nicht, auch nicht im Millionenbusiness Sport.
Reise nach Jerusalem
Nun hat die Pandemie offenbar eine neue Qualität erreicht. Trotz beginnender Impfungen könnten sich die Ansteckungen in den kommenden Wochen wegen der Mutanten sogar noch erhöhen, und damit weiteres Leid - gesundheitliches, soziales und wirtschaftliches - über die Menschen bringen. Einreiseverbote wurden deshalb ausgesprochen für Menschen aus den Ländern, in denen die neuen Virus-Formen besonders grassieren. Nur zu logisch, dass dieses Embargo auch für den Profisport gilt. Diesmal ohne Ausnahmen - in Deutschland.
Blöd nur, dass die beiden Bundesligisten RB Leipzig und Borussia Mönchengladbach im Achtelfinale der Champions-League ausgerechnet gegen Vertreter aus England spielen, wo sich die als besonders ansteckend geltende Virus-Variante B.1.1.7 rasend schnell verbreitet. Für Briten gilt deshalb aktuell ein Betretungsverbot in Deutschland. Norwegen hat seine Grenzen gar komplett dicht gemacht aus Angst vor einer "dritten Welle". Die TSG Hoffenheim darf deshalb nicht zu ihrem Europa-League-Match zu Molde FK reisen. Und für Spanien gelten ähnliche Regelungen.
Deshalb läuft in Fußball-Europa nun ein "Reise-nach-Jerusalem"-Spiel um mögliche verbleibende Austragungsorte. Die Lösung: Leipzig spielt gegen Liverpool in Ungarns Hauptstadt Budapest, ebenso wie Mönchengladbach gegen Manchester City, Molde und Hoffenheim treffen sich in Villarreal in Spanien, diverse weitere Partien mit britischer Beteiligung stehen vor der Verlegung in andere Länder, wo die Einreise noch möglich ist. Wohlgemerkt: Die Gastgeber-Vereine sind dafür verantwortlich, Ausweichorte zu finden, wenn bei ihnen keine Austragung möglich ist. Ansonsten wird die Partie als verloren gewertet.
Auch andere Branchen müssen verzichten
Und die Bayern kicken gerade bei der Klub-WM vor Zuschauern im Stadion in Katar, das vom RKI weiterhin als Risikogebiet geführt wird, Reisewarnung eingeschlossen. Quarantäne nach der Rückkehr? Fehlanzeige, für Sportprofis nicht nötig.
Sagt mal, hakt´s bei euch? Fast jeder Mensch in unserem Land ist von den Folgen der Pandemie betroffen. Menschen bangen um ihre beruflichen, um ihre wirtschaftlichen Existenzen, von der Gesundheit ganz zu schweigen. Klar bringt ein wenig Fußball im Stadion Ablenkung in diesen schwierigen Zeiten. Aber die brächte der Kneipenbesuch auch, der Karneval, das Schwimmbad oder der Skiurlaub. Jeder muss derzeit Opfer bringen, sich an Regeln halten, Freiheiten aufgeben.
Warum nicht auch der Fußball? Jede Reise, jeder Kontakt erhöht das Risiko, sich mit COVID-19 zu infizieren - und damit auch Dritte zu gefährden. Schade für die Fußballprofis, schade für uns Fans, aber die UEFA als Veranstalter der internationalen Wettbewerbe wäre gut damit beraten, die Europa League und die Champions League für ein paar Wochen zu unterbrechen, bis wir aus dem Gröbsten raus sind. So aber zwingt sie die teilnehmenden Vereine in Schlupflöcher, die die Gefahr von Infektionen nur noch vergrößern. Auch wenn weder in Budapest noch in Villarreal Zuschauer dabei sein werden - wir brauchen kein zweites Bergamo!