Die FDP schwebt im siebten Himmel: DieUmfragewertesind so gut wie seit Jahren nicht mehr. In der Partei herrscht Frieden und in Corona-Zeiten haben Freiheitswerte, die DNA der Partei, Hochkonjunktur. Und dann noch der Nahost-Konflikt. Für die FDP die Chance, an eine fast vergessene Domäne der Liberalen zu erinnern: die Außenpolitik.
Die FDP meldet sich zurück
Die FDP hatte schon vor dem digitalen Parteitag in Berlin einen Lauf wie seit langem nicht mehr. Und sie sammelt sich erneut um Parteichef Christian Lindner, der mit dem besten Ergebnis, das er je bei der Wahl zum Parteivorsitz erzielen konnte, wiedergewählt wurde: 93 Prozent. Lindner bleibt die unumstrittene Leitfigur der Liberalen. Auch wenn er bescheiden sagt: "Das Team ist der Star". Er hat die FDP aus der außerparlamentarischen Opposition zurück in den Bundestag geführt und trotz Pannen zu Umfrageergebnissen, wie sie die Partei lange nicht mehr gesehen hat: zwölf Prozent im neuesten ARD-Deutschlandtrend. Der Abstand zur "Volkspartei" SPD beträgt nur noch drei Prozentpunkte. Die FDP will sich selbstbewusst für die nächste Regierung empfehlen, die im September gewählt wird. Die Chancen dafür stehen gut. Und die FDP will es - unbedingt sogar.
Corona als Chance für die Freiheitspartei
In den ersten Monaten der Corona-Krise vor mehr als einem Jahr, irrlichterte die Partei noch zwischen Orientierungslosigkeit und Überraschung. Doch dann fand sie ihren Kurs in Abgrenzung zu den Corona-Leugnern von der AfD und dem Regierungskurs von Union und SPD, dem sich weitestgehend auch die Grünen anschlossen.
Die FDP behielt immer die Freiheitsrechte im Auge, die Wirtschaft und plädierte für das Machbare unter den gegebenen Umständen. Bei allem galt das übergeordnete Prinzip: So viel Vorsicht wie nötig, so viel Öffnung wie möglich. Die persönlichen Freiheiten nicht vergessen und die Unternehmen. Dieser Politikentwurf wurde von vielen Deutschen goutiert. Mit der Festigkeit im Kurs stiegen auch die Umfragewerte; trotz einiger unappetitlicher Ausrutscher und frauenfeindlichen Anmerkungen des Parteichefs.
Wiederentdeckung der Außenpolitik
Fast war das vergessen: Die FDP stand auch einmal für das Thema Außenpolitik; stellte immer wieder die zuständigen Minister. Christian Lindner will daran anschließen, als er den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf Israel scharf kritisiert. Noch vor Beginn der eigentlichen Parteitagsrede stellt er sich vor das Rednerpult und spricht - fast staatstragend - von einem "Akt des Terrors" der Hamas und verurteilt zugleich die antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland. "Hetze gegen Juden hat bei uns keinen Platz", mahnt Lindner. Die Partei fordert die Bundesregierung auf, sich stärker für Sicherheit und Frieden im Nahen Osten einzusetzen. Auch in der Außenpolitik sollte man die FDP also nicht ganz abschreiben. Christian Lindner vergisst natürlich in diesem Zusammenhang nicht, den "Architekten der deutschen Einheit" zu nennen; Hans-Dietrich Genscher.
Zurück an die Regierung - aber mit wem?
Eines geht nicht mehr, das weiß Christian Lindner nur zu genau: Noch einmal aus Koalitionsverhandlungen auszusteigen, wie er es im Herbst 2017 gemacht hat. Damals hatte Lindner die Sondierungsgespräche mit Union und Grünen platzen lassen mit diesem Satz: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren!". Jetzt sagt er: "Wir sind bereit, in Regierungen einzutreten."
Wunschpartner der FDP für eine Koalitionsregierung ist die Union mit Kanzlerkandidat Armin Laschet(CDU), den Christian Lindner sehr gut kennt und den er schätzt. In den Umfragen reicht es aber derzeit nicht zu dieser Konstellation. Bleiben die Optionen "Ampel" - also SPD (rot), FDP (gelb) und die Grünen. Oder doch noch einmal die "Jamaika-Koalition" (Union, Grüne, Liberale).
Kröten schlucken für's Mitregieren
Wer auch immer Kanzlerin oder Kanzler wird und die nächste Regierung anführt - Annalena Baerbock, Armin Laschet oder Olaf Scholz (SPD) - die Grünen werden maßgeblich beteiligt sein. Porsche-Fan Christian Lindner in einer Koalition mit Tempolimit-Fan Annalena Baerbock von den Grünen?
Lange schienen die kulturellen Gegensätze der beiden Parteien unüberbrückbar. Vor allem auch beim Klimaschutz. Heute gilt bei der FDP das Prinzip: Annäherung, Versöhnung, Pragmatismus. Auch wenn SPD und Grüne generell mehr auf den Staat setzen und die FDP auf den Markt. Und selbst nachdem das Versprechen der FDP "keine Steuererhöhungen" noch einmal bestärkt wurde. Bei der Partei ist eine gewisse Kompromissbereitschaft eingekehrt, sogar "Demut", wie Lindner in Berlin sagt.
Manchmal muss man eben Kröten schlucken, um an die Macht zu kommen. Ganz nach dem Motto des FDP-Parteitages in Berlin: "Nie gab es mehr zu tun."